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Der Große Einsame und DIE WELT - II/2


... Seitdem ich aber im SPIEGEL einen Artikel über den tablettensüchtigen Hitler gelesen hatte, der wie ein Junkie an der Nadel hing (jeden Morgen ließ er sich von Dr.Morell Speedagon spritzen) und deswegen den Krieg verloren hatte, setzte ich das Zeug immer seltener ein. Folge: ich dämmerte immer öfter vor dem Fernseh­apparat dahin, das Leben ging langsam zu Ende....

Überall sparte ich Kräfte ein. Zu einer katastrophalen Situation kam es auf dem sexualökonomischen Sektor. Eines Tages passierte etwas, daß mit einem Schlag meine ganze Lage aufriß und mich entblößte. Der Chefredakteur war am späten Abend eines anstrengenden Tages noch in mein Büro gekommen, hatte mir in die Rippen geknufft und gesagt: "Lottmann, heute geht's rund! Treiben Sie zwei Ihrer zahlreichen Miezen auf und bringen Sie sie her! Dann gehen wir noch aus, Sie und ich und die Miezen, was!" Ich hatte sofort zugestimmt und war losgegangen. Aber - es gab keine Miezen mehr. Und selbst wenn, hätte ich nicht mehr mit ihnen umgehen können. Ich wälzte noch zweienhalb Stunden das Telefonbuch. Dann gab ich auf und hatte meinen Kredit beim Chefredak­teur verspielt.

Noch hatte ich keine eunuchenhafte Schrulligkeit bei mir entdecken können, aber das wäre auch das letzte gewesen. Die Lage war ernst genug und rechtfertigte längst die Notbremse, sprich Kündigung. Draußen brach der Frühling aus und ich saß in einem zugigen Neonröhrenbüro. Ich schrieb über eine Jerry-Lewis-Pressekonferenz, während die Zei­chen der Zeit ganz woanders standen, nicht beim 53jährigen Lewis, der seine gute Zeit in den frühen Fünfigern gehabt hatte, sondern bei den knapp 20- oder 25jährigen Ska-Musikern aus Coventry. Sprach ich mit Stephan T. Ohrt, gingen mir Welten auf: Wo war ich bloß gelandet! Aber, wie auch immer, ich saß nun hier im Büro und mußte die lächer­liche Meldung zu Ende tippen. Tat ich auch.

Der Produktionsraum hatte sich inzwischen gelichtet, nur noch zwei, drei Leute saßen herum. Die so häßliche wie unbefriedigte Frau Glass, der tumbe und geschlechtslose Cowboy Bruns und eine mir nicht weiter bekannte Tunte, die nicht wußte, daß sie eine war. Diese Tunte trug einen Kinnbart und schlabberige Hannes-Alpheis-Cordhosen und machte mit tuntiger Stimme "witzige" Bemerkungen. Ich sagte: "Sie reden so komisch." - die Tunte machte hektisch weiter. Zu Frau Glass meinte ich artig: "Wie geht es Ihrem Mann?" womit ich den schwulen Herrn Hillesheimer meinte, der mit ihr zusammenlebte, sie aber nicht befriedigte. Frau Glass schnaufte los: "Glauben Sie nicht, daß Sie mit Ihr­em Schi-Schi-Leben, daß Sie, daß - , wir wissen sehr gut, besser als Sie glauben! Meinen Sie, wir wissen nicht, daß Sie zum Beispiel in Wirklichkeit verheiratet sind?!" Lachend ging ich in mein Büro. Ich beschloß, mal wieder ins Archiv zu gehen.

Dazu durchmaß man den langen Flur, vorbei an Frau Bütow und dem glib­berigen "Herrn" Salowski, hastete in den dritten Stock und wartete dort auf den Lift. Unten stürzte man an den Pförtnern vorbei - in der Regel hatte ich stets beim Laufen vier, fünf Bogen Papier in der Hand und täuschte Emsigkeit vor - und bog nach links um die Ecke. Schon fühlte man sich in Sicherheit, obwohl gerade jetzt irgendein Kollege entgegenkam (meistens), einer, der gerade vom Essen kam, locker und ohne alle Emsigkeit, einer, der einen schon von weitem sah und der sogar Zeit hatte, sich irgendeinen Satz auszudenken… der reine Wahnsinn. Man ging bis zur Ampel und rannte trotz Rot rüber. Man stand dann vor dem wunderschönen Springer-Hauptgebäude, dieses einzigartige Dagobert-Duck-Bombast-Building aus Marmor und Glass. Eine kolossale Freitreppe hinauf, an Säulen vorbei, wurde man erneut von vier Ober­pförtnern in Empfang genommen, allerdings von freundlich-diskreteren als den WELT-Heinis. Man zückte seinen Ausweis und wurde, wobei sich der jeweilige Oberpförtner stets bedankte, eingelassen. Das ganze Springer-Imperium stand einem nun zur Verfügung. Man konnte Lift, aber auch Paternoster fahren. Ich fuhr meistens Paternoster und sah mir dabei das marmorne und goldene Treppenhaus an. Im zweiten Stock stieg ich aus und wandte mich nach links zum Archiv. Die Archiv-Mit­arbeiter waren die nettesten im ganzen Haus. Immer prompt und blitz­schnell, taten sie alles für einen. Nie ging man anders als hochzu­frieden weg, immer hatte man eine dicke Mappe mit köstlichen Fotokopien und Artikeln im Arm und freute sich schon auf die Auswertung des bekommenen Materials. Kein Wunder also, daß ich jeden zweiten Tag im Archiv war, mehr als jeder andere Arbeitskopien machen ließ und stundenlang dort rumschmökerte. Oft fuhr ich anschließend noch in den siebenten Stock und aß eine Eintopf-Suppe. Während ich löffel­te, konnte ich schon das Material durchsehen. Ja, das machte ich gerne. Diesmal ließ ich mir eine Mappe "Stichwort Harburg" geben und fischte nun darin nach Ideen für ein neues Harburg-Thema.

Das ging schnell: Harburgs Nachtleben. Im Nu hatte ich entsprechende Artikel gelesen und eine Liste Harburger Schülerinnen, die ich an­rufen konnte. Gesagt, getan… wenig später landete ich mit meinem alten Wehrmachtskäfer vor der Auffahrt einer Harburger Tanzschule,die mich spontan aufgefordert hatte, vorbeizukommen und die jungen Mädchen zu befragen. Es wurde aber ein Flop. Ich fand mich in der tiefsten Provinz wieder. Die Mädel zeigten soviel Beschränktheit, daß ich mitten im Gespräch aufstand und schnellstens abhaute. Panik hatte mich erfaßt, ich wollte um Gottes Willen aus diesem Nest wie der raus. Schrecklich, die Leute ähnelten innerlich eher Kühen als Menschen. Also, wenn das nicht unheimlich war! Fragte man etwa, was sie abends am liebsten machten, war es schon zuviel für sie: so eine Frage sei zu ungewohnt, sie wüßten nicht, was sie darauf antworten sollten, wie denn das überhaupt gemeint sei, wieso denn eine so komi­sche Frage gestellt werde und außerdem könne man darauf sowieso ir­gendwie nichts Richtiges sagen. So ging es dauernd. Die Tatsache, daß dort jemand fragte, ließ sie schon in unüberwindliche Verblüffung erstarren. Ich war meinem Schöpfer dankbar, als ich wieder den Hauptbahnhof erblickte. Ich fuhr nicht mehr in die Redaktion, sondern nach Hause. Es war doch alles eine große Scheiße. Ich hatte meinen Faden doch völlig verloren. Widerstandslos und ohne jeden Kommentar fiel ich ins Bett. Alles im Eimer. Aus der Traum.

Nachts wachte ich manchmal auf. Ich würgte dann auf der Stelle pfund­weise Studentenfutter in meinen Bauch rein, im Koma, und hatte Glück: ich schlief weiter. So brachte ich es auf 14 Stunden. Das war eine Dosis, die mehr anknallte als irgendein LSD-Trip. Zwölf Uhr war es und ich hatte massig Zeit, nach unten zu gehen und das ganze Cafe Neumann nach Zuckerbrötchen, Kopenhagenern und Marzipanschnitten leerzuessen. Und das tat ich natürlich auch. So gut hatte es mir wohl noch nie geschmeckt. Auch der süße Kaffee war vorzüglich. Ich las diverse Zeitungen und schielte manchmal auf drei Feministinnen, die sich an meinen Tisch gesetzt hatten. Schöne Gesichter übrigens. Pünktlich um 14 Uhr war ich dann in der Redaktion. Tito war gestorben. Der Kenianische Präsident weilte anläßlich eines offiziellen Staatsbe­suchs in Hamburg und hatte sich mit Hans-Ulrich Klose zur Hafenrund­fahrt verabredet. Klar, daß ich dabei sein mußte. Vorher mußte ich aber noch die Redaktionskonferenz über mich ergehen lassen, eine öde Tortur, jeden Tag. Die Singvögel in Schnevelsen waren bedroht, im Rathaus war wieder mal ein dickes Ding passiert: der Beamtenernen­nungsausschuß hatte einen DKP-Lehrer nicht auf Lebenszeit übernom­men, worauf Klose meinte, daß das letzte Wort noch nicht gesprochen sei - und das, obwohl andere SPD-Leute ihren Respekt vor dem Beamten­ernennungsausschuß bekundet hätten, früher mal, also mit einem Wort: ein dickes Ding, ein Skandal. Dann hatte sich ein Zöllner über zu­viel Schmutz beschwert, der Tierschutzverein hatte ein Merkblatt für Hunde herausgegeben, im Hafen war ein Segelschulschiff vor Anker ge­gangen, in der Nordsee waren Fische gesichtet worden die Chemikalien an den Flossen hatten, der Hamburger ADAC hatte sich für eine Er­höhung der Kilometergeldpauschale ausgesprochen, Herr Lottmann hatte eine Reportage über die Marktstraße im Karolinenviertel geschrieben, die HEW war vielleicht für die Verkrüppelung von Bäumen verantwort­lich, im Bezirk Eimsbüttel sollten verkehrsberuhigte Zonen eingerich­tet werden, ein ehemaliger Korvettenkapitän war als Personalie inter­viewt worden, Herr Ahlers hatte einen packenden, aus dem Leben geris­senen Bericht über eine Kommune der Grünen geschrieben und war außer­dem bei mehreren Konzerten im Onkel Pö dabei. Stehender Applaus für Herrn Ahlers, der bleich und kalkig in der Ecke stand. Die Konferenz war beendet. Ich ließ mir die Einladung für Klose und Kenia geben, es ging gleich los.

Die Innenstadt war abgeriegelt, aber ich kam, mit meiner Einladung, auf der das Wappen von Kenia gedruckt war, als einziger durch. Ein wildgewordener Taxifahrer raste mir hinterher, weil er dachte, ich sei verrückt geworden. Als er meine Karte sah, erschauerte er und ent­schuldigte sich. Ich war spät dran. Der rote Teppich war ausgerollt, man erwartete den Staatsgast. Ich ließ es mir nicht nehmen, selbst den roten Teppich abzuschreiten. Das war es doch, was Papi immer ge­wollt hatte. Roter Teppich, unter dem machte er es nicht. Ich bestieg die Hafenfähre "Hans Albers", wenig später kamen Klose und 60 Afri­kaner. Klose war in bester Laune, ich auch. Wir gingen nach drinnen, setzten uns. Champagner und Kekse wurden gereicht. Hubschrauber und Polizeischnellboote begleiteten uns. Die Schiffe tuteten.

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