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Die Frauen, die Kunst und der Staat 21

Ich mußte schlagartig an ROBIN NORWOOD denken, die das alles hatte kommen sehen. Das Entscheidende war, daß ich nicht als Frau auf die Welt gekommen war. Denn dann hätte ich einen schönen Vaterkomplex haben können, und ein Helfersyndrom, und ich würde zuviel geliebt und Briefe geschrieben haben. So aber ging ich als Mann untherapierbar den Hohenzollernring entlang. Natürlich mußte ich mich meiner Vergangenheit trotzdem stellen. So wühlte ich mit aller Kraft weiter. Ich senkte den Kopf, sah nicht nach links und nicht nach rechts. Ich wollte mich dazu zwingen, wieder diese einfachen Sätze zu denken. Die Fußballsätze... Diederichsen redete viel als Student. Sein Vater brachte ihm Pausebrote in die Universität. Seine erste Freundin trug einen Mittelscheitel und wohnte in einem grünen Zimer mit orangenen Sesseln...

Sätze ohne Hilfsverben. Ich schnaufte. Ich machte weiter.

Kalt pfiff der Wind im Norden der Republik. Damals. Diederichsen trat früh im Fernsehen auf. Eine Freundin, um die wir uns stritten, bekam er. Später löste sich dieselbe Freundin in Luft auf. Sie hörte auf zu bestehen. Dabei hatte er sie zwischenzeitlich sogar geheiratet. Wir alle heirateten viel. Zusammen kamen wir auf vier Eheschließungen. Angefangen hatte ich mit 18. Heiraten kostete damals nichts. Scheiden auch nichts, das zahlte die Sozialkasse. Geschieden wurde in acht Minuten, ohne Anwesenheit der unmittelbar Beteiligten. Eine schöne Zeit. Diese Freundin, die er geheiratet hatte, liebte keineswegs zuviel, schrieb aber viele Briefe, war sicher von der Mutter im Mutterleib desavouiert worden und litt unter der Sucht, im erwachsenen Leben zuviele Bücher lesen zu müssen: ein klarer Fall für R. Norwood. Wahrscheinlich verlangte ich den Menschen mehr Mut ab als er, der sie nur zuredete. Wahrscheinlich war dieses Mädchen, das zuwenig liebte, zuviel von der Sucht lesen zu müssen in sich hatte, im Mutterleib abgetrieben worden war und sich später dem Dichter Rainald Goetz hingab, zu langweilig für mich. Jedenfalls sprach der Kunstkritiker, nach zwei Jahren Marathonfußball, kein Wort mehr mit mir, nach der Hochzeit. ALSO hatte ER mich verraten. ER verleugnete den Freund, nachdem er ein sicheres Plätzchen gefunden hatte. In Nibelungentreue blieb ich ihm innerlich fest verbunden. Es war die Zeit, als Kanzler Brandt gestürzt wurde, durch seinen engen Vertrauten Günter Guillaume, dem heimlichen Stasi-Spion und Verräter. Wie litt ich damals mit dem armen Kanzler, der mein Vorbild gewesen war! Schon als Kind hatte ich, auf den Schultern meines Vaters sitzend, auf großen öffentlichen Plätzen 'WiIly, Willy!' gerufen. Diederichsen dagegen rieb sich schadenfroh die Hände; er war heimlicher Kommunist…

"Nein sowas!"

Der Galerist Daniel Buchholz stand vor mir. Den Kopf voller Gewitterwolken, hatte ich ihn nicht kommen sehen.

"Wie geht es? Schön dich zu treffen, mal wieder", sagte ich verdattert aber erfreut. Er fragte mich, wie ich sein neues Parfum fände, und ich roch an seinem Hals.

"Nicht schlecht."

Er hakte mich unter, wir kamen in ein längeres Gespräch, wobei sich zeigte, daß er schon seit Längerem etwas mit mir vor hatte. Schon seit zwei Tagen suchte er nach mir. Er wollte mir und zwei anderen Freunden die Leitung seiner Galerieräume übertragen – für die Dauer eines Sommers. Angeblich versprach er sich von einer bestimmten kollektiven Avantgarde-Führung einen neuen innovativen Schub für seine einst sehr freche Galerie.

Ich sagte zu.


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