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17. Kapitel
5.9.1977
Annerose las soeben die letzten fünfzig Seiten. Ihr Kommentar war das bekannte katholische Lächeln. Sagen tat sie nur eins: "Und was wird nun endlich aus unserem Thema? Wann ziehst du aus?" Ich war sprachlos und 'stumm vor Wut'. Wie peinlich für, wie lächerlich ich mich gemacht hatte... egal, wie gut oder klug ich geschrieben hatte, es war und blieb lächerliches Tagebuchschreiben, also hochgradig pubertär. Zur Rede stellen konnte ich sie auch nicht, sonst hätte ich der Sache (diesen Aufzeichnungen) noch mehr Bedeutung gegeben und wäre in ihren Augen noch lächerlicher gewesen. Ich mußte stark schlucken.
Ich wollte ablenken, indem ich vom neuen Handke-Buch anfing. Aber sie wischte das beiseite. Sie wollte nicht mit mir reden. Sie setzte sich auf meinen Schoß und sah mich spöttisch und geringschätzig an. "Mein kleines Dummerle" sagte sie, nicht ohne Verachtung. "Bollwieser", dachte ich. Ich wollte sie los sein für heute. Ich erklärte, schlechte Laune zu haben und keine Lust auf Leute. Obwohl ich eigentlich (anfangs) enttäuscht über ihr interesseloses Schweigen war, sagte ich nun, ich hatte "eben heute keine Lust zum Reden". Aus lauter
Scham und Verletztheit tat ich so, als hätte es an mir gelegen, als hatte nicht sie mich verletzt, sondern als sei ich eben etwas gereizt und gemein heute.
Sie saß noch immer auf meinem Schoßund ging nicht, da fiel mir etwas ein: Ich hatte plötzlich Lust auf Haschisch. Es erschien mir wie eine Lösung aller "Mißverständnisse" (als solche erschienen sie mir da noch). Kaum hatten wir geraucht, als sie aufs Klo ging und nicht wiederkam. Ich lag so lange auf dem Bett und fühlte mich matt, d.h. ich ging erst ins Bett. Innerlich rang ich die Hände. "So ein mißglücktes Treffen...Wenn nicht noch was Tolles passiert, kommt die nicht wieder... was kann ich nur tun?" Dann kam sie endlich, legte sich ins Bett, behielt aber ihre Sachen an. Ich bat sie, sie auszuziehen, sie zog das Hemd aus. Sie Hose wollte sie anbehalten.
Erst dachte ich, sie tat das, um zu demonstrieren, daß sie, daß ihr Unterleib jetzt 'ihm' gehöre, und ich wurde ganz aufgeregt vor Schrecken, ich meine, ich erschrak vor dieser ungeheuren Peinlichkeit. Doch es war nur, sagte sie, weil sie sich schneller anziehen wollte, wenn 'er ' käme. Dann rief 'er' an, und sie telefonierte lange. Sie sagte nachher, daß er sich über mich beschwert habe. Ich müsse mir die Sache mit dem Ausziehen endlich überlegen.
Dann ging sie, setzte ihr Sonntagslächeln auf, und ich war augenblicklich wieder erfreut. Tief dankbar und beglückt strahlte ich sie an. Ob ich sie denn noch etwas möge, fragte sie schmeichelnd, und ich stieß ein Ja ,ja! aus. Dann ging sie aus der Tür. Ich kehrte in die Zimmer zurück. Lächerlich war ich, hohl. Gräßlich war alles.
18. Kapitel