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Das Fritz Brinkmann Buch 19

19. Kapitel

6. Oktober 1977

Das Treffen mit Prof. Dr. Hillmann macht mir Sorge. Annerose und die Französin sind wieder da, ich fahre sie durch den Rush-hour-Verkehr, zu Thorsten, fahre selbst nach Hause, mache mir eine weitere Kanne Kaffee und schreibe ein Konzept für das Gespräch mit dem Professor. Dann fahre ich hin, erfahre jedoch, daß ich noch einer Dreiviertelstunde warten müsse. Unschlüssig und vom vielen Kaffee zermürbt, streife ich durch die Universität.


Endlich ist es so weit. Ich denke noch, daß ich dasselbe Gespräch bereits vor zwei Jahren geführt hatte, und zwar ohne Erfolg, daß ich wieder einmal eine nicht gerechtfertigte Wiederholung beging.


"Was kann ich für Sie tun?" fragte der Professor, und noch im Stehen fragte ich, ob er mein Magistervater werden wolle. Ich dachte noch kurz daran, später ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen, was ich aber tatsächlich nicht machte, aus lauter Niedergeschlagenheit.


Er sagte lauthals: "Aber ich kenne Sie doch gar nicht!" Ich erklärte, in München gewesen zu sein, er fragte auf der Stelle bei wem, und ich stotterte, zu spät fielen mir die Namen ein. (Während ich dies hier schreibe, klingelt fast pausenlos das Telefon und die Türklingel, weiß der Teufel, was das alles wieder ist… gräßlich… vielleicht gehe ich für einige Zeit ins Hotel.)


Dann erklärte er, was er unter Zusammenarbeit verstünde, warum er mit bewährten Kräften, die sich im Laufe der Seminare herausprofiliert hätten, zu arbeiten bevorzuge. Er wolle doch kein Vater-Sohn-Verhältnis, wie ich das habe anklingen lassen, er wolle Teamwork, die letztlich seinem Buch zugutekomme. Dabei grinste er zum erstenmal jenes seltsame fiese Grinsen, das mich befremdete und zugleich sicherer machte. Was zieht er so eine blöde Fratze, dachte ich mir, und er wurde in meinen Augen um einiges kleiner. Machte er sich über mich lustig? Dazu hatte er keinen Grund. Auch sprach er so schwul, doch da ich ihn schon einmal glücklich mit seiner Frau spazierengehen gesehen hatte, konnte ich mir das nicht erklären.


Ich saß mitten auf dem Sofa, die Arme weit auf dem Polster ausgestreckt, Beine übereinandergeschlagen, während er mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl saß. Es habe schon seinen Grund, daß ich zu ihm gekommen sei führte ich jetzt aus, denn er sei doch so etwas wie der Spezialist für die Theorie der alternativen Lebensentwürfe, und ich hatte einen interessanten Fall - Peter Handke -, an dem ich seine Theorie zu exemplifizieren gedachte. Er nickte sofort und wiederholt eifrig und lächelte mit kleinen Schlitzaugen. Er schien interessiert zu sein. Das war auch das Mindeste, was ich erwartet hatte.


Sein Plädoyer für die Teamarbeit à la Hillmann entsprach doch einfach nicht den Tatsachen, nämlich den lächerlichen Gestalten, die da draußen im Vorzimmer auf ihn warteten. Mit DENEN wollte er sein neues Buch schreiben? Er schlug mir vor, sein letztes Buch zu lesen und dann ein Exposé anzufertigen.

Ich stimmte zu, beging dann aber den Fehler, noch mehr von meinem Handke-Konzept zu erzählen. Er unterbrach mich, für ihn war die Besprechung zuende, so daß ich überflüssigerweise noch ein kleines Resummée zog und mich verabschiedete. Er grinste wieder so seltsam und fies, ich sah ihm befremdet in die kleinen Augen, ging zur Tür und drehte mich noch einmal um, noch immer befremdet, während er noch immer fies grinste.


Ich ging zum Auto und fühlte mich äußerst übel. War ich eine Minute im Zimmer gewesen oder fünf? Hatte er sich wirklich über mich lustig gemacht, wer weiß, welchen Eindruck ich machte mit meinem Ponykopf und der viel zu hohen Stimme, und Bart habe ich auch keinen von der Lederjacke ganz zu schweigen. Gehörte ich an diese Uni oder war ich eine Witzfigur?


Der Mann hatte eine gewisse erotische Ausstrahlung auf mich gehabt, schon vor vielen Jahren, was ich jedoch auch damit verwechseln kann, daß er als einziger in diesem tristen Laden energisch, vital, optimistisch, jovial war, dazu leicht verständlich. Wenn ich ihn manchmal sonntags mit seinen Kindern sah, zu denen er genauso jovial war wie zu den Studenten, so dachte ich: So muß es sein! Der Mann hat’s gepackt, das ist nicht so ein weltfremder Fachidiot, der weiß, was er will.


Tatsächlich fand ich bei ihm Meinungen von mir selbst wieder, sogar den Olaf Moll'schen Funktionalismus. "Erst wenn wir alle skrupellose Egoisten werden, wird diese Gesellschaft humaner werden", sagte er zum Beispiel.


Auch in der Unterredung eben war er erfrischend direkt gewesen, logisch-causal. Und doch kam es mir vor, als hatte er mich schrecklich geringgeschätzt. Daß er auch unfreundlich war, muß ich nicht mehr betonen. Nein, die Sache war negativ ausgegangen, die Lust auf die Uni war mir vergangen. Aber was- jetzt tun? Mir war schon schlecht vom vielen Kaffee, ich fuhr sinnlos viermal um das Unigelände. Dann war es schon kurz vor acht, und ich entschloß mich doch noch, ins geliebte Theater zu fahren.


29 Mark zahlte ich, setzte mich in die beste Loge und wähnte mich, zuguterletzt, doch noch gerettet. Doch was geschah: Wolf Biermann trat auf die Bühne und begann ein Wolf-Biermann­Konzert. Nein. Nein!!! Ich blickte um mich: das ganze wunderschöne alte Theater verschandelt mit mittelmäßigen Mittelklassemenschen, modernen Jimmy-Carter-Anhängern, Reval- und Peter-Steuyvesant-Rauchern. Hier, an dem einzigen Ort in dieser langweiligen Stadt, an dem ich mich wohlfühlte, eine Arenafür ein Mensch-Biermann-Konzert! Und dafür neunundzwanzig Mark. Ich begann, stumm vor mich hinzuweinen.


Unerträglich drang das billige Gitarrengeschepper hinauf zu mir in meine mit rotem Samt ausgeschlagene Loge. Man konnte nicht weghören. Jedes einzelne Wort drang unerbittlich ins Gehirn. Lieder vom Krieg. "Die große amerikanische Liedermacherin, meine Freundin Joan Baez, hat'n Lied geschriebn, und ich hab mir gedacht, schreibst'n deutschen Text dazu, und das… hab ich dann auch gemacht." Hier war Biermann Mensch, durch und durch, ganz kleiner Mann, harmlos zwar, warum auch nicht, aber bauernschlau, hoho, ein grundsympathischer Kerl, der sich auf seine Berühmtheit nichts einbildet, sich mit Wolf anreden läßt und - genau wie unsereins auch - abends sein Bierchen kippt." Und der Sozialismus, der kommt, Freunde, weil wir'n brauchen, wie die Liebe, ne, so oder so."


Ich klopfte mit einem Stöckchen auf das Logengeländer."Tok-Tok-Tok" und war drauf und dran etwas zu rufen, etwa: "Jetzt ist aber Schluß." doch ich tat es natürlich nicht. Stattdessen wartete ich schwitzend und triefend auf die Pause, beschäftigte mich schließlich damit, Rezensionen längst gesehener Filme in mein Notizbuch zu schreiben.


Biermann kam zu keinem Ende. Noch ein Vietnamlied, es war schon halb zehn vorbei, und noch ein Lied über den Vietnamkrieg, diesmal ein mittelalterliches Lied aus den Bauernkriegen umgeschrieben und aktualisiert auf den Vietnamkrieg, oh Gott, welch mißglücktes Unterfangen, das arme, arme Lied. "Und die feinen Herren", singt Biermann, "sind im Scheißhaus auch nicht anders als wir."


Endlich Pause, ich stürze zum Ausgang. Eva sollte jetzt meine Rettung sein, ich meine, sie sollte, doch sie war es nicht. Ziemlich aufgelöst trat ich in die Wohnung, setzte mich neben sie, ergriff ihre Hand und erzählte alles. Ich merkte, daß sich meine Stimme ständig verhaspelte, ich konnte nicht mehr richtig sprechen. Ich schlug Eva vor, sofort in den vulgärsten Pornofilm zu gehen, den es zur Zeit gäbe, auf der Reeperbahn. Sie schüttelte empört den Kopf. Sowas! Sie pfeife auf solchen Quatsch.


Aber gestern, sagte ich, hatte sie doch noch gewollt! Gestern habe sie gar nichts gewollt, sie hatte mich gestern überhaupt nicht angesehen. Ich versuchte, irgendwohin zu gucken, richtete meine Augen dann auf die Tischplatte. Offenbar war ich Eva zu zutraulich. Sie wollte sich ein bißchen distanzieren. Schließlich waren Jan, ihr Freund, und Ulf, dessen Bruder, im Zimmer.


Gegen zwei Uhr nachts fuhr ich dann Ulf nach Hause. Eva hatte sich noch demonstrativ mit Jan und Ulf fürs Kino verabredet und meinen Vorschlag, auch gern mitkommen zu wollen, überhört.


Als ich nach Hause kam, lag die Französin in meinem Bett, und ich machte mir ein Notlager. Ich schlief schlecht, und als ich aufwachte, wünschte ich, einen ganzen Tag allein bleiben zu können. Langsam zu sich kommen! Still vor sich hinarbeiten und abends sich etwas Angenehmes ansehen, das wollte ich.

Die Französin sollte weg sein! Ruhe wollte ich haben, in aller Ruhe wollte ich meine 1.650 Mark ausgeben! Ich steigerte mich in diesen Gedanken hinein, als die Französin auf mich zutrat, klein, häßlich und unbeholfen. Es folgte dann der lange Tag mit ihr, den ich schon ungefähr beschrieben habe, bis hin zur Reeperbahn nachts um drei .


Erneut eine sehr schlechte Nacht, dann das Treffen mit den linken Alternativtypen von Filmflimmer, die völlig danebengeratene Rezension, die höllischen Schmerzen, das Nicht-mehr­aus-noch-ein-wissen .


Als ich aufwachte, sprang der Wecker gerade von 23.59 auf 00.00 und ich war 21 geworden.

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