28. Kapitel
25. Oktober 1977
Schrecklich: letzte Nacht schlief ich allein. Sylvana, die mit mir schlafen wollte, sprang im letzten Moment ab, weil ich, in der entscheidenden Sekunde, mir eine Zigarette anzündete, anstatt sie anzusehen. Am Abend davor hatte ich noch mit Simone geschlafen, hatte aber am darauf folgenden Tag Kopfschmerzen. Heute schließlich machte ich noch kein einziges Mädchen an. Schon gestern, bei den Kopfschmerzen, hatte ich keinen russischen Blick mehr, nur ganz am Schluß, mit Sylvana, wieder. Und heute ist es auch nicht besser. Der schöne Kreis von Sex und wieder Sex ist unterbrochen. Zu den Ursachen: das kurze Zögern bei Sylvana. Ich muß unbedingt heute nacht wieder ein Mädchen kriegen...
26. Oktober 1977
Ja,ja, ja, das ging gerade nochmal gut. Im einzelnen: Der erste Versuch, wieder gut gelaunt zu werden, bestand darin, zu Annerose zu fahren, mich zu waschen, zu essen, Gymnastik zu treiben, neu anzukleiden. Alles Äußerlichkeiten, die, wie ich gleich zeigen werde, nur zu einer Scheinwohligkeit führten.
Frisch und sauber betrat ich um 16.00 ein Seminar an der Uni. Es folgte ein Film von Eisenstein und ein weiteres Seminar. Ich hatte keinen Blick für Mädchen, ich ließ mich durch einen alten Bekannten ablenken. Anstatt meiner Nachbarin aufs Knie zu fassen, redete ich auf den alten Bekannten ein, erzählte zu allem Überfluß von sexuellen Erfahrungen.
Der Film wiederum war sicher gut, doch ich... fühlte mich, als stürbe ich innerlich ab. Revolution, Lenin, Trotzki, russische Stummfilmsoldaten und Bauern, natürlich gute Bilder, ein Kerenski, der hilflos im Zarenpalast hin- und hergeht - ich hatte Bleistift und Papier zur Hand, schrieb aber nichts auf, tue ich auch jetzt nicht. Völlig bedrückt und traurig ging ich gegen 22 Uhr weg von der Uni.
Das letzte Seminar hatte Wallraffs neues Buch behandelt, es war ein gutes, ein kleines, sich aus Freiwilligen zusammensetzendes Seminar. Doch kein Gesicht, das neugierig aussah, kein Körper, der mich interessierte. Wütend. Rachlustig, unendlich geladen bedachte ich alle, die ich Blickfeld hatte, mit giftigen Blicken.
Zehn Uhr abends, ein ganzer Tag Uni, und in mir staute sich Haß und Aggression. so daß ich im Fahrstuhl erstmals die Wände beschmierte: Es lebe die RAF. Ein Satz fiel mir ein: Wie aus Sinnlosigkeit Gewalt entsteht. Helfen konnte mir - vielleicht - nur ein Mensch, in den ich verknallt war. Hinein in eine zwischenmenschliche Spannung, unbedingt, hoffentlich fand ich eine. Angela war die einzige, in die ich wenigstens lauwarm verliebt war.
Ich fuhr hin, drückte unbeherrscht den Klingelknopf ein, wartete, niemand kam. Rüber zu Diedrich, der war da, und obwohl er kein Mädchen war, beruhigte ich mich. Alle Ängste verschwanden, der Gesichtskreis erweiterte sich wieder, der Anfall war vorüber und alles andere renkte sich wie von selbst ein. Simone, Angela, Annerose, alle riefen sie kurz hintereinander an und offerierten ihre Betten.
Ich entschied mich für Annerose, hatte eine gute Nacht und natürlich einen satten, kräftigen folgenden Tag, heute. Heute war Mittwoch. die zweite Uni-Woche.
Ich glaube, mir bleibt doch nichts anderes übrig, als Angela zu gewinnen. Dadurch auch Annerose und dann alles weitere… Leider hatte ich schon einige… ach, unrealistisch. In Wirklichkeit bin ich ratlos. Eins aber kann ich machen: mehr schreiben.