31. Kapitel
4. November 1977
Eben im Café hatte ich eine Auseinandersetzung, die typisch für das Verhältnis Lojo/Hamburg war. Wann immer ich in das Uni-Viertel komme, treffe ich auf den einen oder anderen alter Bekannten oder gerade frisch Kennengelernten, auf einen neuen Seminarkollegen oder eine Blondine, der ich bei der Vorlesung die Hand aufs Knie gelegt habe.
Als ich ins Café Neumann trat, tat ich es bereits mit der leichten Erwartung, irgend so ein neues Gesicht zu sehen und näher kennenzulernen. Ich erkannte die Spontanistin und MSZ-Gängerin, die ich in der VV getroffen hatte und setzte mich zu ihr. Sie erklärte, erkältet zu sein, mit ihrem blöden Fahrrad, das sie alle fünfhundert Meter aufpumpen müsse, um durch den eiskalten Regen fahren zu können, und ich bot ihr selbstverständlich sofort an, sie nach Hause zu fahren. Sie blickte zwar mißtrauisch, nahm aber an.
Dann fragte sie mich, ob ich nicht ein Geschenk wisse, und ich ließ mir möglichst originelle Sachen einfallen. Mit jeder obskuren und ausgefallenen Geschenkidee wollte ich signalisieren: Achtung, Mädchen! Ich bin obskur und ausgefallen, subversiv gegen alles Langweilige, Klischeehafte! So schlug ich zum Beispiel vor, eine E-Otto-Schmidt-Lebkuchenkiste zu kaufen und erzählte ihr dazu, welch suggestive mansonartige Wirkung die E-Otto-Schmidt-Pakete auf uns Kinder gehabt hätten und daß E-Otto-Schmidt selbst einem alten aufklärerischen Geheimbund aus dem 18. Jahrhundert angehöre.
Das Mädchen sagte, das Geschenk solle nicht nur dem Geschenkträger zugutekommen, sondern solle eine Sozialwirkung haben. Sie fände es nicht gut, wenn nur der eine Typ etwas bekäme, womit er dann in sein Zimmer ginge. Gute Wohngemeinschaften, so hätte sie beobachtet, zeichneten sich dadurch aus, daß die Leute was zusammen machten. Dann ging das Gespräch folgendermaßen weiter:
Mädchen: Die Leute machen die Wohnung zusammen sauber, und daran erkennt man irgendwie, daß es läuft.
Lojo: Also eine Saubermache-WG.
Mädchen: Wie?
Lojo: Ich halte das für zu gefährlich. In den WG's, in denen ich war, haben wir uns Putzfrauen bestellt. Und eine Geschirrspülmaschine gekauft. Später kamen dann so kleine Gymnasiastenjungs, die alles saubermachten, weil sie es toll fanden, bei uns sein zu dürfen. Daß sie alles durften: Rauchen, nackte Mädchen sehen, Fotos entwickeln –
Mädchen: Mensch, Mensch, Mensch, Mensch, also nee, also wirklich, das wäre wirklich für mich das Letzte. Ich möchte wirklich wissen, wofür du dich eigentlich hältst, Mensch. Also ich hab auch mal ganz früher mit so'nem reichen Anwalt zusammengewohnt, Gott, das war auch so eklig, das waren sozusagen feudale Strukturen, der hatte auch eine Putzfrau, das war ein scheußliches Gefühl, wenn die kam.
(Kurze Bemerkung: Ich ging jetzt zum Ladentisch und kaufte für das Mädchen und mich zwei Tortenstücke und bestellte Kaffee. Ich hatte nämlich ein positives Bild von dem Mädchen gehabt, aus verschiedenen Gründen. Auf der VV hatte sie mich frech angeschaut, hatte, ebenso wie ich, die VV nur aus Langeweile besucht, stand also weit über dem lächerlichen Politgequassel, ohne eine dümmliche Anti-Politik-Haltung zu haben: auch ihr waren die literarisch guten und intelligenten MSZ-Flugblätter aufgefallen, und sie hatte Kontakt zu dieser neuen Gruppe geknüpft. Auch daß sie mich in die Kaffeestuben einlud, gefiel mir. Als ich sie also heute wiedersah, war sie durchaus einer der potentiellen Bündnis-Partner, die ich zur Zeit, im Monat November des Jahres 77, suche. Täglich prüfe ich solche potentiellen Bündnispartner, und es gibt eigentlich jedesmal jenen TYPISCHEN Ausgang, den ich hier beschreibe:)
Lojo: Nein, nicht daß wir Geld hatten! Die Putzfrau war keine zusätzliche Ausgabe, sondern eine Ausgabe STATT einer anderen. Es war uns wichtig, den Kopf für wichtige und aufregende Dinge freizuhalten. Die Putzfrage mit all ihren verfranzten Erziehungskisten sollte keine Relevanz bekommen.
Mädchen: Ich finde, Dreck, den man macht, soll man auch selbst wegputzen, das ist doch sonst...