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Das Fritz Brinkmann Buch 44

44. Kapitel

28.12.1977

Diedrich war endlich gegangen, es war 23 Uhr, ich setzte mich an den Schreibtisch. Gunhild stupste mich auf meine Couch, setzte sich auf meine Lenden und machte Scherze. Selbstgefällig machte ich die müden Witze mit. Natürlich fühlte ich mich gestört und glaubte, sie bald wieder loszusein, doch nach einigen Minuten, in denen sich ein Ende nicht ankündigte, hob sie den Rock und begann, da sie darunter nichts anhatte, meine Hose zu öffnen und auf mir zu reiten.


Ich kicherte blöde, ließ es mir gern gefallen. Es war einfach, mechanisch und lustig, wie in Schulmädchenreport-Filmen. Nach einiger Zeit hörten wir auf und guckten diffus, dann fiel mir etwas Besseres ein. So wie wir waren stand ich auf und nahm sie im Stehen. Früher konnte ich das nicht, aber heute, da sie auf 45 kg abgemagert ist und ich die Statur eines Mannes habe, klappte die Nummer. Ich hatte mich immer geärgert, daß Ali (Frau Kahl: „Der Hunne!“) bereits 1972 die Sache im Stehen mit ihr machte, ich dagegen zwei Jahre später zu schwach dafür war.


Gestern hielt ich durch, Speichel trat aus meinem Mund, Krämpfe bildeten sich in beiden Wadenmuskeln. Dann krachte ich zu Boden, unfähig, eine sanfte Landung einzuleiten, und Gunhild holte sich blaue Flecke. Ich sah sie mit schlechtem Gewissen an. Jetzt aber endlich an die Arbeit!! dachte ich. Na, eine Zigarettenlänge mußte ich ihr wohl noch gönnen, fiel mir ein. Ich lachte verlegen, gab mir einen Ruck und sah ihr fröhlich in die Augen, die unschlüssig mal auf mich, mal nicht auf mich gerichtet waren. Was sie dachte, wußte ich nicht, wahrscheinlich dachte sie nach, was man jetzt tun könne. Normalerweise gucken wir uns nach dem Gerammel liebevoll an, etwas anderes haben wir nie ausprobiert, so daß wir jetzt einfach nicht wußten, wie wir gucken sollten.


Ich wollte, daß sie sich auf der Stelle duschte und sich was unten herum anzog, dazu Kniestrümpfe und Stiefel. Der Geruch sollte weg: Ich wußte gar nicht, daß es SO riecht, es konnte nicht von mir sein, es mußte von Omigosh sein. „ Wo sind denn bloß die verdammten-“ sagte ich in Panikstimmung, dann rauchten wir. Ich tat so, als nähme ich das alles von der akrobatischen, der lustigen Seite, ich redete, um nicht an ihren Körper zu denken, an das, was ich unter LSD-Einfluß an Bildern erlebt hatte. Judy Garland, alt, alt, alt. Käthe Goll in Paris, verhungerte Schildkröte, die vor Hunger und Ermattung ihren Panzer verläßt, jüdische Frauen in Auschwitz, Holger Meins auf dem Totenbett.


Warum ist sie so dürr und hart geworden, was ist los mit diesem Mädchen? Bin ich es tatsächlich, der sie ins Grab bringt? Frau Kahls frühe Worte, fallen mir ein, als ich Gunhild am Krankenbett besuchte und sofort als neuer Freund gesehen wurde, was ich erst im nächsten Frühjahr wurde: „Ja, und dann ist die große Liebe plötzlich wieder aus und Röschen hat Depressionen und will sich wieder das Leben nehmen.“


Noch immer brennt die Zigarette im ersten Drittel. Alles an Gunhild stört mich jetzt. Ihre Musik, ihre Freunde, ihre Herkunft, ihr Nestlein, ihr Freßkult, ihr Liebgehabtwerdenwollen. Sie bastelt, macht Emaillearbeiten, zeigt mir mit leuchtenden Augen englische Songtexte, die vor Banalität strotzen, etwa: „Hey, man, I touch your body“, was sie mit anzüglicher Stimme nachsingt und dazu „erotisch“ tanzt. Sie glaubt immer noch von sich, sie könne tanzen, und will mit mir ins Madhouse. Ich zucke zusammen. „Professor Schneider geht heute auch nicht mehr ins Madhouse., sage ich unwirsch,“irgendwann muß das vorbei sein!“


Sie zeigt mir eine Lou-Reed-Platte und sieht mich an, als wäre sie nun endlich auf der Höhe der Zeit, als hätte sie eine Lojo-und-Diedrich-Platte, eine aktuelle Platte gekauft. Scheußlich: Dann denke ich: na, dieses war das letzte Gerammel zwischen uns beiden, unsere letzte „Zigarette danach“ und lächle sie versonnen an.


Ich muß hier raus, auf zu neuen Ufern, vielleicht bin ich morgen schon weg. So gesehen konnte ich die letzte Zigarette fröhlich zu Ende rauchen, Gunhild mit einem Klaps rausschicken und an mein Buch gehen.


Doch es kam anders. Gunhild kehrte sofort wieder um und wollte liebgehabt werden. Sie legte den Kopf schief und wollte Schabernack treiben, wie und welchen weiß ich jetzt nicht, vielleicht wollte sie mir an die Hose gehen und mit meinem Pint „Männchen“ spielen, oder sie wollte mein Gesicht knautschen, oder sie wollte „femme fatale“ SPIELEN, um mir dann, habe ich mich darauf eingelassen, Pickel auszudrücken. Jedenfalls wollte sie Aufmerksamkeit haben, und sie glaubte, das auch beanspruchen zu dürfen, da wir ja gerade die Sache miteinander gemacht hatten.


Ich wußte: wenn ich sie jetzt enttäuschte, gäbe es eine Riesenszene, die immer übler und endloser werden würde, weil ich auch auf die ärgsten Provokationen und Liebesforderungen nur die Achseln zucken könnte. Am Ende müßte ich die Feuerwehr rufen. Dazu kam, daß mich das Rammeln seltsam angestrengt hatte, was daran lag, daß ich vorher eine Suppe Borschtsch und Marmeladenbrötchen und Joghurt gegessen hatte. Es ging mir wirklich schlecht, und das benutzte ich als Rettungsanker: Ich gab vor, stechende Herzschmerzen zu haben. Ich wollte lieber schlafengehen.


Gunhild machte das große Ehebett zurecht, im Urmele-Zimmer. Wir wollten beide im Bett noch etwas lesen. Ich nahm also den drögen Thomas Mann, sie nahm Max Frisch. Wir lagen und lasen, wobei mir dann unbehaglich wurde.


Der dröge, altgewordene und erzbürgerliche Thomas Mann, in diesem Zimmer bei schlechter Beleuchtung (15-Watt-Birne in Rüschenlampe) - plötzlich juckte es mich, ich wähnte einen Nachfahren der ausgerotteten Flöhe im Bett und schnellte hoch. Natürlich würde sich in allen Ecken und Nischen, Rüschen und Deckchen, Püllchen und Graffchen, Döslein und Schnöcklein das Ungeziefer halten, würde, zusammen mit dem kleinbürgerlichen Halbgeist vor sich hinbrüten. „Du weißt, daß ich dieses Zimmer nicht mag!“


Ich ging ins andere Zimmer, versuchte es noch einmal mit Thomas Mann. Fünf Minuten später öffnete Gunhild vorsichtig die Tür, stand nackt, unschuldig nach Omigosh riechend, aber zitternd den einen Fuß auf den anderen stellend in meinem Zimmer und sagte groteskerweise aber rührend: Wenn es noch ein bißchen Sex gäbe, würde sie ja hierbleiben. Ich schlug die Decke zurück und ließ sie reinkrabbeln.


Ein plattes, rohes Gerammel setzte an, ich SPIELTE Rammeln was mich erheiterte, sie aber eher erboste bzw. sie deutete es falsch: sie warf mir vor, nicht feurig genug zu sein - Ich drehte mich weg, etwas leichtfertig. Als sie wieder anrückte, sagte ich, ich wollte jetzt nicht mehr. Aber sie ließ nicht locker, schniefte auch schon, um zu zeigen, daß sie zu einem Tränenausbruch jederzeit bereit war. Also los. Sie mußte „Spanische Fliege“ genommen haben, ich glaubte schon, Lydia Gribowitsch vor mir zu haben.


Ich mußte mein Letztes geben, es dauerte zwanzig bis dreißig Minuten, zuletzt lag ich von hinten auf ihr drauf, hielt ihre Handgelenke auf die Matratze gepreßt und machte auf Sadismus, es war das Angemessenste.


Danach der Horror. Beengend der andere Körper, die nasse Decke, alles klebte, dampfte, roch, aller Sauerstoff war weggeatmet, die Luft war feucht und kondensierend wie in den Tropen oder wie im Gewächshaus.


Ich hörte Gunhilds Stimme: „Du hast wohl auch noch nie etwas davon gehört, daß Frauen nach der Sache besonders viel Liebe brauchen?.“ Ich sagte nichts. Sie richtete den Oberkörper auf, sah mich an, knipste das Licht an, sah mir in die Augen, ich guckte den Schrank an, sie wartete mehrere Sekunden, sagte dann: „Was ist mit dir los?“ Dann, nach einiger Zeit: „Hey, ich rede mit dir!" Dann schlug sie mit ihren kleinen knöchernen Fäusten gegen meinen Oberarm, stieß auch mit dem Knie zu, was sehr weh tat.


"Ich, ich weiß nicht“, stieß ich unwillig hervor. "Du weißt nie etwas! Ich will von dir einmal etwas anderes hören als immer nur ‚hm‘ und 'ich weiß nicht', du trotteliger Kotzbrocken!“


Sie hatte wohl recht, dieses Jan-Bertheauhafte mochte ich auch nicht an mir, so etwas sollte man ausbrennen, ausmerzen, dieses Brummig-Männlich-Wortkarge, dieses 'Ich-weiß-nicht'. Ich spürte, daß sie unbedingt mit mir sprechen wollte, ich aber wollte es auf keinen Fall.


Sie nahm meine Hand und führte sie an ihr Geschlechtsteil, wo es warm, schleimig und naß war. Ich ließ die Hand da und hielt die Luft an, schnellte dann hoch und sprach, schnell und streng wie ein Gerichtsurteil: Gunhild, ich muß Thomas Mann lesen, es ist wichtig, ich muß es tun, da gibt es nichts zu diskutieren. Du mußt das einsehen. Und ich griff zum Buch und sah hinein. Ich las immer wieder dieselbe Zeile, begriff nichts, las gar nicht, war trotzdem glücklich mit diesem Buch und wollte es nicht eher aus der Hand legen als Gunhild eingeschlafen war. Eisenhart umklammerte ich die beiden Buchdeckel, ich war entschlossen wie nie.


Gunhild versuchte mich abzulenken, aber ich ging nicht darauf ein. Sie kitzelte mich, umsonst. Sie schniefte, sie starrte mich vorwurfsvoll zehn Minuten lang an, es rührte mich nicht. Sie begann, sich selbst zu befriedigen, ich tat, als merkte ich es nicht. Ich hörte nicht hin. Es glitschte und stöhnte, nein, es stöhnte eben nicht, es glitschte nur, Gunhild glitschte und sah mich dabei an, es war für sie, die an sich extrem schamhaft ist, das gewagteste Mittel. Ich reagierte nicht. Erschrocken hörte sie auf, verletzt, bloßgestellt. Sie mußte sich ungeheuer schämen. Sie stahl sich stumm, ein Kleidungsstück vor die Brust gehalten, aus dem Zimmer.


Ich atmete auf, versuchte es zumindest, öffnete das Fenster, wechselte die Bettbezüge von innen nach außen, legte mich , mit einem Anzug, den ich lange nicht angehabt hatte, ins Bett. Ich schlief nur schwer ein. Am nächsten Morgen verschwand ich heimlich aus der Wohnung.




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