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Das Fritz Brinckmann Buch 47

47. Kapitel

1.1.1978

In der zugigen Wohnung, zur Zeit der Dämmerung, sitzt Olaf Moll auf meinem Bettrand, aschfahl im Gesicht. Mit vollen Kleidern liege ich unter dem schweren Wintermantel, gähne, strecke mich, stelle die verklebten Augen auf das trübe Licht ein, erkenne, daß Freundin Ira, die auf den Boden gerutscht ist, sich auf eine Studentenmatratze gesetzt hat. Es ist der Tag nach Silvester, die Fernsehsendungen laufen bereits, draußen knallen noch Feuerwerkskörper, es ist 15 Uhr 30.


Aufputschtabletten waren im Spiel, letzte Nacht, ich habe erstmals nach langer Zeit wieder ein minderjähriges Mädchen aufgerissen. Ich feierte bei Hannes Alphey, wo ich die Jugend zu strenger Lebensführung ermahnte, um dann zu sehen, ob die jungen Mädchen was taugten. Annerose hatte mich mal wieder verlassen ("Du befriedigst mich sexuell nicht"), und ich mußte allein losziehen. Peinlich: ich hatte Anneroses und mein Erscheinen schon bei mehreren Parties zugesagt. Ich versuchte, Ersatz zu kriegen, schlug das Gurkenregister auf und rief alte Gurken an.


"Hey, Baby, hast du nicht Lust, ins Neue Jahr mit MIR zu rutschen?" Ich bekam keine direkten Absagen, mußte aber erfahren, daß alle Gurken von damals inzwischen entweder verheiratet waren oder einen Freund hatten. Ich wurde ungeduldig: "Hör mal, Kleine, ich hänge mich nicht ans Telefon nur um zu hören, daß es inzwischen einen anderen gibt. Spar dir deine Nettigkeiten für bessere Gelegenheiten auf und rutsch mit deinem Schweinefreund allein ins Neue Jahr."


Ich hatte Pecoffidrinol-Aufputschtabletten genommen und wurde aggressiv. Ich rief meine Mutter an, um ihr Auto zu leihen. Sie redete wieder ziemlich dummes Zeug, ich ließ mir das diesmal nicht gefallen: "Was soll das Geplapper, Mutterherz, wenn du einen brauchst, den du vollsappeln willst, dann hol dir meinetwegen deine weibische klatschende Frau Buchholz oder such dir andere Leichen oder ruf meinen Bruder an. Rück jetzt das Auto raus und laß mich auflegen." Plötzlich sagte sie etwas von Ichsüchtigkeit meinerseits, daß ich kein Herz habe und gemein sei, sie brach dabei in Tränen aus und ich legte wütend auf.


Kaum eine Sekunde später klingelt es, und Frau Bücklers ist am Apparat. "Ja, Lojo! Wo ist denn das Röschen? Ist es denn nicht da?" Woher wußte die alte Kruke das schon wieder? Ich stöhnte nur. Sie fragte weiter: "Hast du denn nichts von ihr gehört? Wollt ihr denn nicht Silvester zusammen feiern?"


Ich gab es ihr: "Klar, Mensch. Sie hat eben angerufen und gesagt, es gefalle ihr gerade so gut in Thorstens Bett und sie wolle noch eine Nummer durchziehen." Die Alte zeigte echte Bestürzung: "Nein, das ist ja schrecklich, mein Gott, Lojo, das ist ja furchtbar, das kann... das darf doch nicht sein. 0 Gott, Lojo."


Ich gab zurück:"Sie ist sich selbst treu geblieben. Ich muß jetzt auflegen, ich habe zu tun. Prost Neujahr."


Tatsächlich rief einige Zeit später Annerose an und erzählte, sie werde mit Thorsten Silvester feiern. Ich grinste böse vor mich hin: "Hör zu, Rösli, Schnubbitier, ich habe für dich einen Job gefunden, im Ernst, eine tolle Sache, der einzige Job, den du überhaupt ausführen kannst, ich meine: werde Nutte! Nur immer los, das wäre doch was, ach, was rede ich, du bist es ja schon."


Sie wollte es nicht fassen: "Was bin ich? Was soll ich werden? Nutte?" Ich bestätigte es, lachte ein bißchen und legte auf.


Ich bekam Lust, noch mehr zu telefonieren, außerdem mußte ich für diesen Abend einen Anneroseersatz finden. Ich holte mein Telefonbüchlein und fand die Nummer von Lydia Gribowitsch! Jahrelang hatte sie in mir einen deutschen Ehemann gesehen, einen Pantoffelhelden, einen Schlappschwanz, sagen wir es rundheraus: einen Trottel, mit Magermilchquark in den Hoden. Daß sie mit mir verkehrte, hatte seinen einzigen Grund darin, Anneroses Mann zu sein, denn diese bewunderte sie. Wie oft hatte sie mich schnippisch abgefertigt, um anderntags in Anneroses Beisein amüsant zu sein.


Ich wählte die Nummer und gab es ihr. Ich nannte sie ohne Umschweife eine kleine Kröte und ließ ab, was ich schon immer einmal ablassen wollte. Dasselbe machte ich mit Sylvana Rosenzweig, ebenfalls eine laute, sprachlich gewalttätige Frau, bei der ich bisher immer den Kürzeren gezogen hatte. Lange Jahre verfügte sie bei Bettermann, der sexuell von ihr abhängig war, über großen Einfluß, so daß ich immer wieder gezwungen war, mit ihr auszukommen. Nach Bettermanns Abstieg machte sie sich alle möglichen Leute gefügig, und man mußte immer noch aufpassen. Als ihre sexuelle Ausstrahlungskraft nachließ, hatte sie nur noch ihre Stimmbänder, mit denen sie zumindest mich terrorisierte. Ich gebe zu, daß ich mich immer wieder einschüchtern ließ. Nicht aber heute.


"Hallo, du Miststück", dröhnte ich, "hast du schon gewußt, daß ich dich für dumm halte?" Und so weiter. Ich hämmerte ihr ein, daß sie grundsätzlich alles falsch verstehe, nicht zuhören könne, immer dasselbe erzähle, immer zu schnell antworte, nicht lieben könne, nicht denken könne, sich nicht verändern könne, daß ihre Bilder und Graphiken unerträglich schlecht und dröge seien, einfallslos, postrevolutionär. Ich knallte ihr an den Kopf, den großen Bettermann zugrundegerichtet zu haben und vielen anderen kleinen Krauchern die Suppe endgültig versalzen zu haben. Schließlich erinnerte ich sie an ihren Satz, im Auto - hätte sie eins - nur Frauen mitzunehmen aus angeblicher Solidarität dem unterdrückten Geschlecht gegenüber. Das hatte sie zu einer Zeit gesagt, da Bettermann, bereits entkräftet und gebrochen im Krankenhaus liegend, nur Gutes über sie sagen mochte. Dieses Mädchen hatte einmal entzückend ausgesehen, und die vielen Versatzstücke aller zirkulierenden Ideologien, aus denen sie auch damals schon bestand, mochte man einfach nicht wahrnehmen. Das laute Stimmorgan sah man noch als jugendliche Aggressivität und kindlichen Überschwang, das pausenlose Geschnatter ließ man sich gefallen weil die Zeit eine tolerante war. Und diese Zeit war nunmehr endlich abgelaufen, ich beschimpfte sie so laut ich nur konnte und legte mich ins Zeug, als ginge es um mein Leben. "Du verdammtes Luder, du Kotzbrocken, du Brüllelefant, du Totschläger, du Hau-den-Lukas-Philosoph, du Dummbad, du Schreihals, du Comic-strip-Figur, du blöde Ziege!" Nicht alles sagte ich, aber vieles.


Als nächstes kam dran: Isabelle. "Hey Alte", begann ich, "nimmst du dich immer noch so ernst, bist du immer noch so ein dummes Huhn wie damals?" Sicher spannten sich jetzt ihre Gesichtszüge, lag ihr das empörte 'Jochen!' auf der Zunge, resolut und wallenden Busens. Ich gab ihr aber keine Chance und redete sofort weiter: "Na, stehst du mal wieder zwischen zwei Männern, liebst den einen, aber eben auch den anderen, kannst dich nicht entscheiden und hältst dich in aller Naivität für den besten aller Menschen? Tragisch, tragisch, Isabelle! Nicht wahr, was soll man da machen, so ist die Liebe, die Liebe hat eben ihre Eigengesetzlichkeit, nicht wahr, und wenn dir sowas zum fünfundzwanzigstenmal hintereinander passiert - es ist eben die Liebe, es sind die Erwartungen, die Bedürfnisse usw., und es ist niemals Isabelles krankhafte Herrschsucht, nein, Isabelle bleibt sauber, bleibt eine tragische Figur, behandelt ihr Beziehungsproblem mit heiligem Ernst und redet auf ihre stets schmächtigen, unerfahrenen Jünglinge ein, ohne Punkt und Komma, stundenlang. Widersprich nicht, du Roß! Leck mich am Arsch, das mußte mal gesagt sein."


Als nächstes war dran: Juana Bienenfeld. Ich war jetzt etwas in Eile gekommen, denn auf meiner Liste standen noch sechs Namen. Ich besorgte es den Puppen so kurz und bündig wie ich eben konnte, latschte dann aufs Klo, um eine Zigarette zu rauchen, und wurde dort von einem Stromausfall überrascht. Ich knallte die Sicherung wieder rein, rauchte zu Ende, starrte auf die funzlige Glühbirne und wurde dabei etwas dösig. Ich saß auf der Klobrille und wartete. Dann ging ich in die Küche, griff ein Bier aus dem Kühlschrank, ekelte mich vor dem eiskalten Gesöff, köpfte es trotzdem und warf mich in den Fernsehsessel, biertrinkend.




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