63. Kapitel
29.1.1978
Es hört nicht auf mit der jungen Elenor Lickfett, es ist wie verhext. Gestern machte sie Babysittin‘ bei ihrer Schwester, hatte das Haus für sich (uns) allein. Ich fuhr also hin, um es wenigstens einmal probiert zu haben (vielleicht vögelte es sich doch besser als zu vermuten war). Irgendwo Bargteheide. Eine seltsame Gegend.
Wir gingen spazieren. Atelierlandschaft, verschleierter Mond, dampfende Sümpfe, alles Kitsch. Enten schwammen in stiller Größe vorbei, in Zwölfer-Formation, alles Mist. Ich rauchte meine Zigarette und fluchte. Ich ärgerte mich, so etwas miterleben zu müssen. Ich betrachtete wutentbrannt das Mädchen. Warum war es nicht besser, attraktiver! Warum war sie so, daß man keine Gefühle bekam! Mundgeruch! Warum lernte sie nicht vom Werbefernsehen, was man alles dagegen tun konnte! Colgate Fluor S, Bend-A-med, One Drop Only, Strahlerküsse schmecken besser - nie gehört! Blödes Ding. Aber Flausen im Kopf. Welt verändern und so. Ich schnippte die Zigarette weg.
Ich bekam keinen Bezug zu dieser Szenerie. Ich hätte heulen können bei dem Gedanken, mit dem RICHTIGEN Mädchen hier zu sein, mit Schneewittchen etwa, deren viel zu roter Mund lautlos auf- und zugegangen wäre, um sich dann zu einem Lächeln zu verziehen, wobei die Lippen weit zurücktraten und die Zähne freilegten. Schwarze Haare, violette, phosphoreszierende Haut - ach, explodiert wäre ich vor Glück, und den Ateliermond hätte ich nie mehr vergessen.
Aber so - nein, das war schlapp. Ich hätte sie in den Tümpel werfen sollen, zu den Enten, aber selbst das wäre sie nicht wert gewesen. Die Lippen waren einen Millimeter zu dick und die Augen nur schön, wenn sie nachdachte. Ach Schönheit, nicht jeder hat sie, da ist die Natur unerbittlich. Ich zog sie weg.
Im Haus, wieder so ein klotziger BRD-Bungalow, goß ich mir einen Whisky ein und legte mich in einen Sessel. Elenor fragte mich, ob ich ein Äpfelchen wollte. Ich schlug in die Hände: „Laß uns ein Spiel machen!“ Ich dachte: Monopoly, schönes, aberwitziges, absurdes Gekrampfe, Mitternacht und Bargteheide. Mit einer Regierung, die man kaufen kann, mit Konkurrenzkampf bis aufs Messer (mal sehen, was sie unter der Bluse hat), mit Geld und Schulden und Spekulationen und Whisky. Ordinär sollte es werden und absurd. Aber sie hatten in dem Haus kein Monopoly.
Elenor brachte das Äpfelchen und setzte sich mir gegenüber. Wir begannen ein Gespräch, sprachen über Terrorismus, Psychologie, Alkoholismus. Ich grinste fortwährend, als wüßte ich alles besser, verhaspelte mich dann, denn ich wurde betrunken. Teufel auch, es sollte losgehen.
„Laß uns ins Bett gehen“, sagte ich trocken, fast gelangweilt, bzw. tatsächlich gelangweilt. Elenor: „Wie?“ Ich wiederholte. Sie sah mich groß an und meinte, das ginge doch nun wirklich nicht.
Wenig später klingelte es und ihre Leutchen kamen zurück. Jungmanager und Frau. Reizende Leute, sehr lebhaft und umwerfend komisch, ich mußte laut losplatzen, schlug mir auf die Schenkel. „Sie sind richtig, meine Liebe, Sie sind richtig!“ rief ich und blieb noch zwei volle Stunden. Dann ging ich.
Zu Hause rauchte ich noch eine Zigarette, machte sie aber vorzeitig aus, weil mich Verzweiflung packte.