74. Kapitel
Bericht aus der Arbeitswelt
15.3.1978
Heute war ich ausgeschlafen und pünktlich, heute langweilte mich der Ablauf. Schon wieder dieselbe Strecke. Es gab heute etwa fünfzig Prozent mehr zu tun als sonst, die Kollegen waren nervös und brüllten. Beim geliebten Sortieren dagegen eine bemerkenswerte Szene: verliebte Schweine! sie glaubten sich wohl unbeobachtet und turtelten herum, ohne daß sie selbst es wußten. Sie waren beide verschämt und unsicher, suchten krampfhaft nach Anlässen für Witze oder nach Anlässen, sich berühren zu können. Die Frau hatte eine Stimme wie die Heidi-Kabel-Tochter vom Ohnsorgtheater, es war natürlich überhaupt alles Ohnsorgtheater.
Ein Kollege sagte in nettem Ton zu dem mir zugewiesenen Briefträger: „Na, Heinzi, die zwei Mille trauste dir auch nur auszuzahlen, weilde so'n großen starken Bengel dabei hast." Ich nickte dankbar.
Die männlichen Schweine brüllten heute wie noch nie zuvor. Ein Schwein lief Amok, aus Spaß, riß immer wieder die harten Postkästen zu Boden, weil es so schön krachte, andere Schweine gröhlten stumpfsinnig, immer wieder dasselbe, so lange, bis allgemeine Heiterkeit ob der hartnäckigen Wiederholung ausbrach, und noch weiter, bis andere Schweine ihnen die Schnauze einschlugen, weil es selbst ihnen zu viel wurde. Ein Schwein gröhlte etwa zweitausendfünfhundertmal: „Jetzt aber alle, Herr Tietjen“, ein anderer: "Be-nnoo, ich kom-mee!“, ein Dritter schlicht: .Leck mich doch am Arsch, verdammte Scheiße!“ Ja, es war nicht sehr fein, ich mochte das nicht gern hören, tröstete mich aber mit der Idee, in den kommenden Bürgerschaftswahlen CDU zu wählen.