75. Kapitel
Bericht aus der Arbeitswelt
13.3.1978
„Heinzi“ ist niemand anderes als Heinz Rühmann, dieselbe Statur, dieselbe Mentalität, dieselbe Asexualität, das Bärtchen, das Fahrrad, die Uniform.
Heute in der U-Bahn: Ein flachsblondes Mädchen, große Nase, fliehendes Kinn, unterhält sich mit einem Anachronismus von Mann, Hornbrille, Aktentasche, Nazi-Schnitt, Stock, es fehlt noch: ADOX-Fotoapparat und Shorts. Sie redet, er stützt sich im Sitzen auf den Stock. hört aufmerksam und verkrampft zu, sie redet weiter, er antwortet nicht, sie hört auf zu reden. So, Kerl, jetzt mußt DU was sagen! denke ich empört. Dann hält die Bahn und beide stehen auf, sehr umständlich. Sie stehen noch peinliche zwanzig Sekunden nebeneinander, man sieht, wie es in ihm zieht und ruckt, aber er bringt nichts heraus. Das Mädchen hat ein Gesicht bekommen, als würde es gleich Selbstmord begehen wollen.
Zurück zur Arbeitswelt. Zwei Dinge: Es gibt da so einen Hans-Dampf-in-allen-Gassen, der hat zuviel Kraft oder ist ganz furchtbar verliebt, ein hektischer, viel zu lauter, nervtötender Typ. Die ganzen Morgenstunden rast er, ständig in irgendwelche Gaunereien involviert, durch die Gänge, schreit, lacht, macht Zurufe. Ich weiß kaum, wie er aussieht, weil er für einen musternden Blick zu hysterisch ist. Mit zwanzig Schweinen ist er gleichzeitig in von mir nicht nachvollziehbaren Schabernack verwickelt, er ist die Stimmungskanone, ein Brechmittel.
Das andere, wovon ich erzählen wollte, ist eine Szene an der Kasse. Ich traf unseren alten schwulen Briefträger von der Hartungstraße wieder, er erkannte mich freilich nicht. Mal sehen, dachte ich, wie sich so ein Mensch hier bei den Schweinen benimmt. Eigentlich hätte ich es mir denken können: er benahm sich noch schweinischer als die Schweine, versuchte, sie in allen Punkten nachzuahmen und zu übertreffen. Es war unerträglich.
„So, nu komms du."
"Er nu wieder.“
„Komms du her, komms du her, du krichs gleich was hinner de Bredder, du!"
Immer Witze und immer das gleiche.
Der Kasse-Mensch verzählt sich kurz beim Geldrausgeben -welch hübsche Gelegenheit, fünf Minuten lang darüber zu blödeln.
"Na, du, deine Mudda hat dir als Baby aba auch keine Intelligenzsuppe gegeben“, so ähnlich (das habe ich mir jetzt ausgedacht. Das Original-Gedröhne kann ich mir seltsamerweise nie merken).
Ich dachte: "Warum soll ich mir das anhören? Ich habe hier nichts zu suchen, Ruderclub, vier Jahre, das reicht." Dann aber war ich in einer Rekordzeit fertig, morgens um halb elf schon wieder zu Haus, und ich sagte mir: "Arbeit ist nun mal kein Zuckerschlecken."