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„Kippenberger wurde durchaus geliebt“

Der Autor Joachim Lottmann im Interview mit dem Wiener Extremkünstler Thomas Draschan über den Roman „Die Frauen, die Kunst und der Staat“ von 1988, der nun erstmals veröffentlicht wird (Teil 1):

Thomas Draschan: Man spricht jetzt davon, das Buch sei vor genau dreißig Jahren geschrieben worden. In welchem Zeitraum ist das Buch genau entstanden?

Joachim Lottmann: Mehrere Elemente kamen zusammen. Anfang Oktober 1988 lernte ich Caroline von Nathusius kennen. Fast zeitgleich bezog ich eine eigene Wohnung in der Moltkestraße. Vorher hatte ich bei dem wunderbaren Künstler Josef Strau gewohnt. Und schließlich richtete mir Dr. Peters, der Besitzer des Chelsea Hotels, ein Zimmer in seinem Hotel in der Jülicher Straße ein. Das war dann wohl Ende Oktober.

Draschan: Das beantwortet nicht meine Frage.

Lottmann: Ach, wissen Sie, es waren ganz reizende Menschen damals in Köln, das kann sich heute keiner mehr vorstellen. Ich kann nicht einfach darüber hinweggehen. So eine technische Frage, wann genau der Text entstand, berücksichtigt das nicht. Zum Beispiel Daniel Buchholz, der heute der wichtigste Galerist in Berlin ist, neben Johann König natürlich, war damals in Köln Anfang zwanzig, aber präsenter und einflussreicher als heute, künstlerisch aber vor allem menschlich.


Besucher*innen der Galerie Buchholz, 1988

Draschan: So richtig gut kommt er aber nicht weg in Ihrem Buch.

Lottmann: Leider. Nicht richtig gut. Das tut mir heute fast weh, daß ich solche außergewöhnlichen Persönlichkeiten nicht richtig feiern konnte in meinem Roman. Ich war so dumm kritisch. Weil ich selbst so jung war. Und, wichtiger, weil ich den Kunstbetrieb verachtete.

Draschan: Heute nicht mehr?

Lottmann: Doch, mehr denn je. Das ist ja das Blöde: daß ich damals nicht wissen konnte, wieviel schlechter das noch werden würde, und was für eine ungewöhnliche, fast einzigartige Blütezeit die Kölner Jahre für die Kunst waren, im Vergleich zu früher und zu später.

Draschan: Caroline von Nathusius kommt besser weg. Weil sie keine Künstlerin war oder ist?

Lottmann: Auch sie war in Wirklichkeit natürlich unendlich vielschichtiger und liebenswerter. Ich habe eigentlich das ganze Buch über diesen dummkritischen, jugendlichen Rebellensound nicht abgelegt. Die Frauenfigur wurde fast durchgehend auf das Sexuelle reduziert oder festgelegt. Allerdings sah von Nathusius auch besser aus als jede andere lebende Frau der westlichen Hemisphäre. Als ich sie traf, wußte ich augenblicklich, daß ich nunmehr das Buch schreiben konnte.

Draschan: Oh ja, ich habe Bilder von der Frau gesehen. Der Wahnsinn. Man fragt sich, wie die Menschen soviel Coolness und Sexiness überhaupt aushalten konnten. Die Nathusius war wirklich hot.

Lottmann: W-was?

Draschan: Sie war hot!

Lottmann: Hott?

Draschan: „hot“, wie „heiß“, englisch.

Lottmann: Ja ja, stimmt.

Draschan: Wann war das Buch fertig?

Lottmann: Es stimmt schon, daß es vor genau dreißig Jahren entstand. Die legendäre Extacy-Party fand am 3. Dezember 1988 statt. Mit dem Bericht darüber beginnt ja der Roman. Der schraubt sich da mittels der Party langsam rein in die Welt, die ich meinte, die Kippenberger-Szene. Wenn man das heute liest, erkannt man verblüfft, daß ich schon damals total unbeliebt dort war, nicht erst später durch das Buch. Insofern kann der Text psychologisch bereits als Rache gelesen oder diagnostiziert werden.

Draschan: Es war also nicht - oder nicht nur - „das Böse“, das in Ihnen zuschlug, wie Rainald Goetz meinte?

Lottmann: Quatsch.

Draschan: Wie haben Sie sich nach dem dann entstandenen Skandal, den das Manuskript auslöste, gefühlt?

Lottmann: Das weiß ich gar nicht mehr. Muß ich verdrängt haben. Ich flog noch am selben Tag nach Madrid und besuchte Albert Oehlen. Der wußte schon alles. Er verhielt sich vollkommen steif und zurückhaltend mir gegenüber, auch wenn er formal ein guter Gastgeber war und mich ein paar Tage lang in Madrid herumführte. Ich dachte mir nichts dabei, denn Oehlen war von Geburt an vollkommen steif und zurückhaltend, also auch vorher schon.

Draschan: Vor der Geburt?

Lottmann: Vor dem Skandal.

Draschan: Welche Konsequenzen hatte für Sie als Autor das Verbot des Romans „Die Frauen, die Kunst und der Staat“?

Lottmann: Stellen Sie sich vor, Tom Wolfes Buch über die Miami Art Basel vor einigen Jahren wäre verboten worden. Das war ja dieselbe Sache wie meine. Wie hätte Tom Wolfe sich gefühlt?

Draschan: Ja, wie?

Lottmann: Gar nicht. Das Schreiben ist virtuell, ein Vorgang wie Atmen. Man fühlt da nichts. Wenn einem jemand das Atmen verbietet, atmet man weiter, ganz automatisch, ganz undramatisch, ohne sich etwas dabei zu denken.

Draschan: Keine Trauer?

Lottmann: Nein.

Draschan: Und jetzt, da es herauskommt, logischerweise auch keine Euphorie. Oder liegt es daran, daß Sie das Buch gar nicht mögen?

Lottmann: Es ist ja umfangreich, und die meisten Stellen sind ganz normaler, hundertprozentiger Lottmanntext, also brilliant. Zwei Drittel etwa. Natürlich mag ich diese zwei Drittel, sehr sogar.

Draschan: Könnte man das andere Drittel nicht einfach weglektorieren?

Lottmann: Der Grund für das Verbot war ja nicht die vergleichsweise geringere Qualität dieser Stellen. Und heute ist ein nachträgliches Lektorieren auch nicht möglich, da die publizierende Institution, nämlich die angesehene „Gesellschaft der Literaturfreunde Frank Hornung e.V.“, jeden Eingriff in diesen als historisch eingestuften Text ablehnt.

(...)


Fortsetzung (Teil 2 von 3) in einer Woche


Josef Strau im Gespräch mit Joachim Lottmann, 1988

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