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Die Frauen, die Kunst und der Staat 9


Insgesamt hatte ich nahezu ein ganzes Jahr lang gearbeitet. Mehr als jeder in Köln lebende oder auch tote Künstler. Nun mußte ich in Köln meinen Weg machen, egal in welchem Bereich, denn in Köln war jeder Bereich Kunst und kein Bereich Arbeit. Köln war die modernste Stadt Europas, genau aus diesem Grunde. Hier tobte bereits die allumfassende Freizeitgesellschaft der kommenden Jahrhundertwende, hier war Joseph Beuys Satz 'Jeder Mensch ist ein Künstler' schon im Vorwege Wirklichkeit geworden.

Die Party brach mit Urgewalt über uns herein, über uns und das Belgische Viertel. Per Tonband hatten wir an 170 Anschlüsse folgenden Text durchgegeben: 'Das Love-In findet heute um 23 Uhr in der Moltkestraße neunundzwanzig statt. Liebt Euch. Liebe ist die stärkste Droge.' Es war gar nicht so leicht, diese paar Worte überzeugend auf das Tonband zu sprechen. Wir brauchten eine Stunde dazu - die aufwendigste Arbeit bis dahin. Gegen sechzehn Uhr begann ich, die Telefonnummern anzuwählen. Um achtzehn Uhr lungerten die ersten Jugendlichen vor der Kellerwohnung in der Moltkestraße. Psychopath Klarczyk mußte sie verscheuchen. Er trat mit seiner Goldrandbrille und seinem Kaplan-Rundhaarschnitt auf sie zu und verwickelte sie in Diskussionen über Rigidität und Bürgertum. Ich hörte seine quäkende Klugscheißerstimme durch Wände und Fenster bis nach drinnen. Ein fünfzehnjähriges Mulattenmädchen, das schon zu diesem Zeitpunkt einen LSD-Trip eingeworfen hatte, kam auf den Horror dabei.

Ich finde ihn eklig!," wimmerte sie, "er ist so eklig... tut ihn weg..." Wir brachten sie nach hinten in den 'Love-In-Room und verboten Klarcyk, sich um sie zu 'kümmern'. Die anderen Jugendlichen gingen wieder. Als wenig später die nächste Gang auftauchte, setzten wir die jungen Leute zum Boxenaufbau ein. Dabei merkten wir, daß es keine richtige Anlage gab, sondern nur Boxen und einen Plastikplattenspieler. Die übertrieben schöne Caroline, die ein gutes Händchen hatte für junge Leute, setzte verschiedene Gruppen zum Partyaufbau ein: die einen holten Platten, die anderen Getränke, die dritten einen Verstärker, die vierten Räucherstäbchen, Kerzen, Matratzen, Kondome, Feuerwerkskörper, Masken. Die Kondome konfiszierte ich barsch.

"Wir spielen hier doch nicht das Spiel des Bundesfamilienministeriums!"

"Und was ist mit Aids?"

"Alles Propaganda."

Die fünfzehnjährige Mulattin torkelte in ihrem LSD-Rausch immer wieder durch die Räume. Ein schönes Bild. Sie torkelte nicht nur, sondern bewegte sich in in Kreisen von einer Stoßstelle zur anderen. Sie stieß alle zwei Meter irgendwo an, stieß sich von dieser Stelle ab und schwebte in einem Bogen zur nächsten Stelle. Die Haare hatte sie sich 'wirr' ins Gesicht fallen lassen - sie sah rein gar nichts. Der hintere 'Love-In-Raum' schien ihr dennoch am besten zu gefallen. Mindestens einmal sah ich sie mit drei hübschen Burschen auf einem der Betten liegen. Sie war einen Meter achtzig groß, sehr schlank, sehr hell. Daß sie Mulattin war, erkannte man an den viel zu breiten Lippen, den schwarzen Augen und ein bißchen an der Kopfform. Vielleicht war sie gar keine Mulattin und man hatte lediglich einige äußere Merkmale und reizauslösende physische Details im Sinne der herrschenden erotischen Mode genmanipuliert. Ich bildete mir natürlich ein, sie käme andauernd in meine Richtung getorkelt.

Später am Abend erlebte ich, wie andere Menschen torkelten, und zwar Männer, und zwar in Carolines Richtung. Ganze Divisionen. Der Mixer-König aus der Nachtbar hatte einen Cocktail kreiert, exakt so, wie wir es ausgemacht hatten: sieben verschiedene Spirituosen, dazu Limone, Triple Sec, Sirup, Puderzucker und Eis. Der Mann war eine Bombe. Er hatte Spaß an der Sache, eine Art Spaß, wie ihn leidenschaftliche Anarchisten, Pyromanen und IRA-Terroristen haben mußten, wenn sie irgendwo auf Befehl Feuer legen oder ein Krankenhaus in die Luft sprengen durften. Er mixte diesen Cocktail, der in jedermanns Kopf buchstäblich explodierte...

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