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Die Frauen, die Kunst und der Staat 19



Es gab überhaupt keinen Moment, wo ich wahrnahm: 'oh, dieser Mensch dort könnte mit dem Künstler Warhol identisch sein', dieser Moment, den man hat, wenn man Fernsehstars im wirklichen Leben trifft. Ich wußte von vornherein, aha, der ist auch da, ist ja schön. Ich ging auf ihn gemächlich zu, nickte, er nickte überaus freundlich zurück, sodaß ich ihm die Hand gab. Er hatte keine Berührungsscheu, was man schon daran sah, daß er den homosexuellen Jungen dauernd an den Hintern faßte. Ich schüttelte ihm also genau die Hand, die er eben noch an dem Hintern eines der Lustknaben gehabt hatte - aber daran dachte ich natürlich in dem Moment nicht. Wir unterhielten uns über gemeinsame Freunde. Tatsächlich hatte ich in dem Haus seines Kameramannes Paul Morrisey einmal einen Sommer verbracht. Das Fotomodell wurde nervig, kreischte speichelleckerische Jubelsätze und destruierte damit langsam aber sicher die Situation. Andy Warhols Gesicht, mir gegenüber keineswegs starr, zeigte auch in ihre Richtung einen deutlichen Ausdruck: den des Ekels und der Verachtung... In dem Fernsehbericht sah man wieder nur den absolut starren, ausdruckslosen Warhol. Er sagte dem Reporter, er könne ohne zu Blinzeln zehn Minuten in die Kamera gucken und machte es gleich vor. Es sah nicht schlecht aus. Ich überlegte, wie das aussähe, wenn Walter Dahn das machte. Auch er sah gebannt auf den starrblickenden Pop-Großmeister.

"Er ist so politisch", schwärmte er.

"Klaro, Er ist es, und die anderen sind es nicht."

"Wir haben jetzt ein Bild gemacht 'Waldheim was a SS-Butcher'," mißverstand er mich gründlich und war stolz. Er dachte, die Nennung des Überbau-Wortes WALDHEIM sei politisch. Da lag er natürlich gründlich daneben, Warhol hätte sich im Grabe umgedreht. Weder gab es 'Waldheim WIRKLICH, noch gar 'SS-Butcher' oder andere angehörige der Waffen-SS oder rechtsradikaler neofaschistischer Sammelbewegungen... es gab keine Nazi-Bewegung, nirgendwo. Der Krieg wurde bereits am 8. Mai 1945 beendet. Wer heute noch Nazi-Ängste beschwor, lenkte vom REALEN Elend ab. Ich sagte es ihm.

Im Zimmer war es dunkel. Nur eine altmodische Pritsche mit einer gehäkelten Oma-Decke darauf möblierte es. An den Wänden entdeckte ich drei, vier kleinere, sicher unbedeutende Dahn-Arbeiten. Das Bild 'Waldheim was a SS-Butcher' sei DOCH gut, meinte er, das könne ich aber erst wissen, wenn ich es gesehen habe. Er schlug daher einen kleinen Atelier-Besuch vor. Das Atelier lag im Hinterhof.

"Seltsam, daß du mit deinem vielen Geld nicht in den Luxus geraten bist..."

"War ich doch," sagte er ernst, während wir durch das knarrende, feucht lichtlose, katholische Altfrauentreppenhaus kletterten, dann den traurigen Hinterhof überquerten. Er erzählte mit großem Ernst eine authentische Geschichte: Wie er im Luxus gebadet hatte, dann eine hypochondrische Fußverletzung bekam, nicht mehr laufen konnte und keine Freunde mehr hatte. Da wußte er: Es ging nicht mehr WEITER, im buchstäblichen wortwörtlichen Sinn. Seitdem arbeitete er wieder im Hinterhof, sommers wie winters, in eisiger Kälte, gnadenlos gegen sich selbst.

"Hast du nicht irgendeine Großverfeuerungsbollerofenanlage dort aufgestellt, fürs Schlimmste und Ärgste, für die Januartage?"

"Nein."

Das Atelier strahlte die Trostlosigkeit einer Tropfsteinhöhle aus. Die Farben gefroren, die elektrischen Leitungen leiteten nicht mehr, Beuys' Schlittenhund zog einsame Bahnen im apokalyptisch-sibirischen Dämmerlicht. Dahn machte sich daran, einen kirchenschiffhohen Triptichon freizuschieben. Dieser Triptichon war nämlich das Bild 'Waldheim was a SS-Butcher'. Nach zehn Minuten stand es endlich, auf insgesamt acht Metern Breite. Es gefiel mir. Aber die Galeristen in New York waren von derlei deutscher Vergangenheitsselbstanklage-'Kunst' gründlich gelangweilt. Die wollten lieber die saugute neue Blut-und-Boden-Kunst des Anselm Kiefer, der bessere Preise erzielte als Beuys und jeder andere Deutsche. Die einzige Volksgruppe der Welt, die mit dem Nazithema unbefangen umgehen konnte, waren nun einmal die Juden, und die Galeristen in Amerika fühlten sich durch das Tabuisieren und Nichtbearbeiten dieser Epoche durchs deutsche Schuldkollektiv nur angeödet. Ein Heil-Hitler-schreiender Günter Förg machte bei ihnen Karriere, das Weizsäcker-Tremolo der 'Nie-Wieder'-Riege blieb unbeachtet. Ich sagte es Walter erneut:

"Waldheim ist kein Thema. Macht und Herrschaft ist ein Thema."

"Das einzige Thema des Zwanzigsten Jahrhunderts ist, wie wir ins Einundzwanzigste kommen.“ Er stimmte mir zu.

"Und wie kommen wir ins Einundzwanzigste Jahrhundert. Ich meinerseits habe da durchaus meine Vorstellungen", hechelte ich, so denke ich, daß sich Erste und Zweite Welt zusammenschließen werden gegen die Dritte Welt. Eins und Zwo werden so eng kooperieren wie Deutschland und Frankreich heute, also alles Wichtige gemeinsam regeln, die ganze Welt folglich. Es wird nur noch eine gemeinsame Ordnungsmacht geben."

"Aber Deutschland und Frankreich... das ist auch nicht so toll, wie's aussieht. Die verstehen sich doch gar nicht."

"Die haben klammheimlich das Europa von 1992 ausgehandelt! DAS ist Realität! Nicht Waldheim."

Er wußte nicht, was er sagen sollte. Ich nutzte die Lücke:

"Es wird eine schreiende Ungerechtigkeit zwischen Erster/Zweiter Welt und Dritter Welt geben: ganze Kontinente werden in zwanzig Jahren entvölkert sein, zugrundegegangen an Seuchen, Hungersnöten, fehlenden fossilen Brennstoffen, Chaos. Milliarden Menschen werden sterben. Die Jugend der Welt wird das nicht mitansehen und protestieren. 1998 wird so revolutionär wie 1968. Ja, lieber Walter, DAS sind die Dinge. Und nicht die eingebläuten Ablenkungsängste wie Aids, Atomkraftstörfall, Ozonloch, Neonazis, Kriegsgefahr und ähnliches."

"Die Leute wollen aber WIRKLICH keinen Krieg mehr."

"Gibt auch nicht den Hauch einer Chance für einen. Jeder Krieg braucht ein Motiv. Für einen Krieg zwischen Rußland und Amerika gibt es seit 1945 kein Motiv. Das war alles ausgedacht."

"Und die Kuba-Krise?"

"Ein Regionalkonflikt."

"Und Tschernobyl? Nur AUSGEDACHT??"

"Siebenundzwanzig Tote. Allein im Tschad sterben stündlich hundertmal soviele Kinder an Unterernährung, über die niemand spricht."


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