Die Trennungsschlacht tobte seit sechs Wochen. Zum drittenmal hatte Kim mit mir Schluß gemacht, und dennoch bekam ich langsam die Oberhand. Der Kampf begann erst. Ich ging im Zimmer auf und ab. Es war zwanzig Uhr.
Um im Trennungskampf gute Karten zu haben, hatte ich fünfzehn Pfund abgespeckt. Kim - wir waren seit zwei Jahren zusammen - hatte ähnliches getan, zunächst. Dann klappte es nicht mehr, sie nahm wiederacht Pfund zu, und ich hatte die Schuld: weil wir uns immer noch nicht getrennt hatten. Schlank konnte man nur alleine werden. Die Kraft zur Disziplin kam aus dem emanzipativen Schub, den eine Trennung bewirkte. Mühelos lebte ich das Gegenteil: jeden Tag war ich ein Pfund leichter und hübscher, Schon begannen mich reifere Frauenvereinzelt anzustarren. Kim war wieder einmal geschlagen, übertrumpft,zum Verlierer gemacht: unterdrückt eben, Ein Grund mehr für sie, mit, mir aufzuhören.
Die Lage war brenzlig. Ich durfte nicht die Nerven verlieren, nicht grob werden. Manchmal wollte ich schon wie ein Ochse losbrüllen. Einmal hatte ich um ein Haar mit einem männlichen chauvinistischen Tritt ihren Fernsehapparat eingetreten. Beim zweitenmal Schlußmachen – es wer erst vierzehn Tage her - zündete ich vor ohnmächtiger Wut ihren Vorhang an. Ich hatte grimmig ihr Elektrofeuerzeug an den weißen, gerade neben mir hängenden Stoff gehalten. Seitdem nannte mich Kim den "Türken- mann". Ich sei, fluchte sie, wie ein Türke, schlimmer noch, wie ein Perser*. Bald würde ich wohl mit Ohrfeigen und dem Wort "Hure" kommen. Gewalt sei das einzige, was solchen Männern einfalle, wenn sie sich verlassen glaubten. Ich dachte nach. Hatten wir uns damals noch versöhnt, wenn der Vorhang nicht gelodert hätte? Nein, nein. Es war genau richtig. Feuer war dramatisch, aber nicht männlich. Der eingetretene Fernseher dagegen hätte das "Aus" bedeutet. Ich mußte vorsichtig sein. Mein größter Trumpf war, daß ich als treu galt. Solange das nicht angezweifelt wurde, konnte ich nicht umkommen, Ich rauchte eine schwarze französische Zigarette und wartete. Meine Nerven flatterten schon wieder. Wenn sie anrief, durfte ich ihr keine Vorwürfe machen. Nur die reine Güte half bei ihr weiter.

Ich hatte Glück. Gerade, als mein Herz zu rasen begann, klingelte es. Am Apparat war Kim, die versucht hatte, ohne mich auszugehen, dabei aber prompt in einen üblen Haufen von Hardcore-Prolos gerannt war. Sie befand sich in einem ehemaligen Punkschuppen und sollte gleich die talentlose englische Durchschnittsgruppe "XTC" erleben. Ich war sofort bereit, sie da herauszuholen. Die schwarze französische Zigarette segelte aus dem Fenster, unten stand der alte Wehrmachtskäfer. Sekunden später sprang ich hinein, wuchtete die gußeiserne Tür zu und drückte auf die Tube.
Der Motor des alten Wehrmachtskäfers stammte noch aus einem Kübel-VW des Jahres 1944 und hatte alle Absetzbewegungen der Heeresgruppe Süd mitgemacht. Der Rest des Wagens war neun Jahre später nach Originalzeichnungen von Adolf Hitler und Ferdinand Porsche entstanden. Ich besaß es seit meinem siebzehnten Lebensjahr und da ich nicht viel von Autos verstand, war ich froh, daß es nie kaputt ging. Ärgerlich war bloß, da die Leute der kleinen Scheiben wegen zu glotzen begannen. Bei Gelegenheit wollte ich mir einmal große Scheiben einsetzen lassen. Im Grunde war es ja ganz einfach mit Kim, Sie brauchte mich, wie sich jetzt zeigte. Trotzdem war es nett, daß sie mich angerufen hatte. Sie hätte ja auch meinen ehemaligen Chef Flum holen können, der ihr irrsinnig den Hof machte, Flums Fehler war, da er jeden Tag ein Pfund zunahm.
Die Hosen flatterten mir um die lang gewordenen Beine, als ich ausstieg. Alles war mir zu weit geworden. Das Gesicht wirkte plötzlich knochig und um Jahre älter. Charakterfalten hatten sich eingegraben. Nicht mehr lange, und ich konnte mir jedes Mädchen aussuchen. Natürlich nutzte mir das nichts, solange ich seelisch abhängig war. Jeder Flirt, dachte ich, schadete nur. In Kims Augen entlarvte mich die Suche nach einem neuen Mädchen als Spießermann, der Frauen für austauschbare Objekte hielt, die er funktionalisieren und in Rollen zwängen könnte. Kim jedenfalls war nicht auf der Suche nach einem neuen Jungen. Sie wollte frei sein.

* Die Gesellschaft der Literaturfreunde hat sich entschieden, dieses historische Beispiel einer Diskriminierung 2. Ordnung stehen zu lassen.