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Acht Wochen später...




15. Mai 1982


Es war ein extrem warmer Freitagabend, als Katja Perreys Party in der Geffckenstraße 25 (um 22 Uhr) stattfand. 30 Grad im Schatten?

Für einen Maiabend sehr viel.

Stephan T. Ohrt, gerade von seinem zweiten Hörsturz genesen, ging nach acht Wochen Krankenhaus zum erstenmal wieder unter die Leute. So konnte der Abend nur gelingen. Die Spezialfreundin Kim R. war am Morgen dieses Tages nach Italien gefahren und fehlte als ein­zige. Sonst waren alle, alle gekommen. Halt! Felix Reidenbach fehl­te auch noch; er war im Wochenendhaus der reichen und verruchten Kettelbecks abgeblieben. Diedrich Diederichsen aber war da und mit ihm drei Millionen Popper, seine Leser. Ja, es war eine Popper-Fete, wenn man den Ausdruck noch gebrauchen darf.

Die Vorbereitungen waren einfach. Katja hatte Karten ausgegeben, die Möbel abtransportiert, Zellophan in die Flure drapiert und die Glüh­birnen blau angemalt. Zu trinken gab es nur Apfelmost und Johannesbeersaft. Svenja und ich hatten aber eine Flasche Sekt mitgebracht, die wir dann selbst austranken. Es war Fabers ‘Krönung’.

Wir rauchten um die Wette. Jeder hatte ein nagelneues Päckchen Camel Ohne Filter gekauft und Welthölzer. Ich war eher fertig.

Fabers Krönung gab mir bald einen leichten Schwips, und ich merkte nicht mehr, daß ich zehn Jahre älter als die Popperteenies war. Mein Freund Stephan T, Ohrt und ich verguckten uns in derselben Sekunde in ein Mädchen mit Kim R.-Schnitt, schwarzen Haaren und sonderbarem Benehmen. Innerhalb kürzester Zeit wurden uns die Knie weich, schnürte sich uns die Kehle zu. Sie ging auf und ab, stellte sich vor uns hin, ging dem Ausgang entgegen. Ich stolperte hinterher. Es war aber nichts: kaum hatte ich sie draußen angesprochen, verflog aller Reiz. Zu spät, zu spät, Stephan T. Ohrt mußte noch in derselben Nacht mit ihr schlafen, sie hatte Feuer gefangen und er konnte nicht nein sagen.

Plötzlich gefiel mir Frankie wieder. Frankie, das Punkmädchen. Ich hatte sie zwei Stunden lang nicht angesprochen, einfach, weil Svenja meinte, ich würde mich mit Frankie lächerlich machen. Nun stand sie vor mir und war fuchsteufelswild. Sie war also einigermaßen selbstbewußt, nicht gleich verunsichert. „Im Mai/Sind die Mädchen noch frei” sagte Svenja. Ich mußte Frankie anfassen. Was für ein großes, hübsches, gelbes Mädchen.

"Na Flumieboy, ganz ohne Kim?" fragte ich Kai Erikson, der einsam am Flipper stand. Wie anspruchslos doch die Leute waren. Monatelang konnten sie aushalten, was mir nur Stoff für einen guten Abend war. "Theme for great cities” spielte Simple Minds.

"Du siehst so gut aus! Groß, kräftig, ein großer, gutaussehender, kräftiger Mann!" sagte Angelika Ohrt und meinte mich.

"Teenies stehen mir bis hier. Ein Königreich für ein Mädchen um die 25!" sagte ich und dachte an Kim. Svenja nahm ich da­bei aus; Svenja fand ich nicht teeniehaft.

Im alten Wehrmachtskäfer saß ich mit Frankie auf der Rückbank, vor­ne am Steuer saß Stephan T. Ohrt, daneben das enttäuschende Mäd­chen mit dem Kim R.-Schnitt - sie hatte einen ekelhaften, singsanggartigen, süßlichen, antrainierten Tonfall – (und im übri­gen nicht die ausdrucksstarken Kimlippen, sondern einen wider­lichen Entenschnabel) - ja, also und so fuhren wir los, aber nicht lange. Fritz Brinckmann und Ulrich Hummel liefen uns vors Auto und stiegen dazu. Als siebenter kam dann noch Svenja in den Koffer­raum, die ich fast vergessen hätte. Wie gesagt, es war sehr lau und warm, der Himmel fast hell, die Bäume schlugen aus, der Asphalt knirschte.

Im "Alles Wird Gut" fehlte wieder nur die Spezialfreundin. Ich stand mit meinem guten alten Freund Stephan T. Ohrt in der Mitte des neonbeleuchteten Hauptraumes. Holm von Cettritz fiel Ohrt um den Hals, befaßte ihn mit krakenhaften Armen, scheußlich. Angelika schlug mir vor, nach Italien zu fahren und Kim zu suchen. Der Geldgeber hatte mir etwas Geld gegeben, 500 Mark, damit kam man bis zum Gardasee. Alles war sinnlos. Manchmal sah ich Diedrich Diederichsen in die Augen und entdeckte: Nichts. Es erschreckte mich. Ein Mann ohne Seele, nein, dann wollte ich doch lieber ich selbst sein, trotz der Gemeinheiten.

"Eine Schurkerei war es, vergiß es nicht" sagte ich zu Mathias Becker, meinem Alt-Rivalen. Er war früher mit Svenja zusammen ge­wesen. Ich ermahnte ihn, hart zu bleiben.

Angelika Ohrt stand noch immer vor mir, Ihre Begeisterung für die Italien-Such-Fahrt steckte mich an. Ja, ja, natürlich, am Garda­see zugrunde gehen, wie Isabel Adjani in "L’histoire de l’Addle H.", das wäre etwas.

Nun überlegte ich wieder. So ein Abend, Drogen, Alkohol, Musik, bekannte Gesichter, es mochte einem gefallen... aber das Eigentliche war doch etwas anderes: neue Menschen kennenlernen. Ich blickte in den Raum. Wen bloß? Schon war wieder Ohrt neben mir. In einiger Ent­fernung entdeckte ich Christiane F., die echte. Da gerade nichts anderes zu sehen war, fragte ich Ohrt, ob ich mich auf sie werfen sollte.

"Wir haben doch nicht 1978!" wehrte der entschieden ab.

"Warum spielen sie nicht mehr Haircut One Hundred?" fragte ich Diedrich Diederichson.

"Weil Rip Pag and Panic die neue Platte ist."

Svenja suchte vergeblich ihren neuesten 'Pickel'. Der Junge hieß Conny und war sehr nett, ein Sohn des Baader-Meinhof-Anwaltes Groenewold.

Ach, es war schön. Ich fühlte mich befreit.

"Die nächsten vierzehn Tage gehe ich jede Nacht aus, bis morgens um sechs. Ich kann ja am frühen Abend schlafen. Irgendwann feuern sie mich bei der BILD-Zeitung, und dann hat es Ja auch alles seinen Sinn gehabt." Was mich so befreite, war die Tatsache, vor der Spezial­freundin sicher zu sein. Kim war außer Sichtweite, der Schmerz ließ nach. Erstmals sah ich nicht verkrampft auf meine Schuhe, sondern untersuchte die Decke des Lokals.

Holm von Cettritz begrabbeite mit seinen Krakenamen nun Mathias Becker. Becker war die Schwulenphantasie Nummer Eins ln Hamburg.

"Ist es sehr unangenehm, von Holm begrabbeit zu werden?" fragte ich Ohrt, der verneinte. Auf einer amöbenhaften Stufe registriere man einfach ein angenehmes "der mag mich"-Gefühl. Frankie, das Punkmädchen, stand, nett anzusehen, mit ihrer Frau-Mumin-Handtasche, ihrem schwarzen Minirock, ihren dünnen langen netten Beinen. . . ihren krummen Schultern, ihrem großen, Klarabella-Rotmund, ihren gelben Haaren... mitten im Raum und lachte stumm, dachte wohl gerade: voll lustig hier. Das heißt, sie dachte ja nie, es war ihr Verlegenheits­ausdruck. Rührend, das 1.80 Meter Geschöpf… man konnte nicht zu­hören, aber wenn schon, denn schon. Wem in dieser Minderjährigenversammiung konnte man denn zuhören? Keinem. Also Frankie!

"Voll lustig hier, was Frankie?" sagte ich.

"Voll geil. Die neue Theatre of Hate gekauft. Gleich losgebrettert. Den ganzen Tag draufgenagelt, viel Spaß gehabt, echt lustig. Die neue Simple Minds auch, mußt dir auch anhören. Voll lustig die Platte."

"Ja, ja, totales Brett, Frankie, volle Pulle, ahoi, ganz meine Meinung, demnächst mehr!" Ich ging wieder zu Ohrt.

"Glaubst du nicht, daß Frankie und ich gut zusammenpassen?" fragte ich. Ohrt sagte schlicht:

"Nein." war außer Sichtweite, der Schmerz ließ nach. Erstmals sah ich nicht verkrampft auf meine Schuhe, son­dern untersuchte die Decke des Lokals.

Holm von Cettritz begrabbeite mit seinen Krakenamen nun Mathias Becker. Becker war die Schwulenphantasie Nummer Eins in Hamburg.

"Ist es sehr unangenehm, von Holm begrabbelt zu werden?" fragte ich Ohrt, der verneinte.

Auf einer amöbenhaften Stufe registriere man einfach ein angenehmes "der mag mich"-Gefühl. Frankie, das Punkmädchen, stand, nett anzusehen, mit ihrer Frau-Mumin-Handtasche, ihrem schwarzen Minirock, ihren dünnen langen netten Beinen. . . ihren krummen Schultern, ihrem großen, Klarabella-Rotmund, ihren gelben Haaren... mitten im Raum und lachte stumm, dachte wohl gerade: voll lustig hier. Das heißt, sie dachte ja nie, es war ihr Verlegenheits­ausdruck. Rührend, das 1.80 Meter Geschöpf… man konnte nicht zu­hören, aber wenn schon, denn schon. Wem in dieser Minderjährigenversammiung konnte man denn zuhören? Keinem. Also Frankie!

"Voll lustig hier, was Frankie?" sagte ich.

"Voll geil. Die neue Theatre of Hate gekauft. Gleich losgebrettert. Den ganzen Tag draufgenagelt, viel Spaß gehabt, echt lustig. Die neue Simple Minds auch, mußt dir auch anhören. Voll lustig die Platte."

"Ja, ja, totales Brett, Frankie, volle Pulle, ahoi, ganz meine Meinung, demnächst mehr!" Ich ging wieder zu Ohrt.

"Glaubst du nicht, daß Frankie und ich gut zusammenpassen?" fragte ich. Ohrt sagte schlicht:

"Nein."

Foto: Lottmann Images

Flum war übrigens auch hier, mit der 19jährigen Claudia, aber es lief nicht so gut mit ihm. Er, der mit allen Drogen so gut umgehen konnte, hatte ausnahmsweise einmal Alkohol getrunken: prompt wirkte er besoffen. und doof. Seine Teeniefreundin behandelte ihn auch ge­mein, wieder einmal. Demonstrative schlechte Laune, muffeliges Ge­sicht, genervte Antworten. Armer Flum. Als ich ihn ansprach, kam nicht mehr viel.

"Na, Flumie, siehst ja so ernst aus. Kann ich dir mit irgendwas eine Freude machen?"

"Nein... das heißt, eine große Portion Spaghetti wäre gut."

Damit konnte ich nicht dienen. Ich ließ ihn allein. Claudia saß ge­nervt auf dem Fußboden.

Fritz Brinckmann arbeitete mit geschicktem Timing an seinem Comeback Rechtzeitig zum Sommerausbruch war er wieder da, mit vielen neuen Ideen und sehr nett. Mit seiner riesigen grünen Fliege, geschorenen Haaren, weißem Cocktailhemd, Stresemann, Turnschuhen, guter Laune. Ich sprach gerne mit ihm, wie mit jedermann. Sogar Herrn Hummel hat­te ich arglos ein halbes Minütchen geschenkt. Fritzi durfte mich fast unbegrenzt lange in Beschlag nehmen.

"Wie ruft uns Goethe hier zu: Name ist nur Schall und Rauch! Wie stehst du eigentlich zu Goethe?" Fritz sah mich erwartungsvoll an. "Oh! Ich habe ihn stets ausgesprochen gern gehabt, habe schon früh­zeitig alles gelesen. Der Mann hat ja nichts, wofür er sterben wür­de, das macht ihn mir so vertraut. Er ist Atheist, Internationalist und ganz diesseitig. Kein Gemunkel, kein dräuendes Fischen im Trü­ben, alles ganz klar." Ich verwies auf Kleist als 'unangenehmes Ge­genbeispiel. Das Nette an Fritz war, daß er als einziger ein Herz für meine kleine Untermieterin hatte, während ganz Hamburg energisch darauf bestand, ich müsse wieder mit Kim zusammenkommen, alles andere sei Unfug, reichte Fritz der Kleinen die Hand und brachte ihr Schogetten und Mon Cheri vorbei. Eine kleine Geste, nicht viel, nichts Besonderes, aber immerhin.

"Ich habe mir die Fun Boy Three Platte gekauft, und von Simple Minds habe ich jetzt zwei Stück" informierte ich Diedrich.

"So ein Dreck! So idiotische Musik zu kaufen, du bist wahnsinnig geworden, was machst du eigentlich? Probierst aus `how weird can you get`? Idiotenmusik, was, passend zur Idiotenfreundin, zu dieser Punk-Frankie? Knallkopf! Dreckskerl!"

"Nu, nu…" beruhigte ich den Kulturpapst. Ich verstand ihn ja. Im Grunde hatte alles keinen Sinn. Ich langweilte mich. Die Taschen voller Geld, konnte ich Nacht an Nacht reihen.

"Ich möchte Selbstmord machen, Diedrich, die Köhlbrandbrücke hinunter springen, ich langweile mich so. Ich bin in der Sinnkrise. Ich weiß nicht, was ich machen soll."

Diedrich wußte es auch nicht.

"Such dir eine neue Freundin, Mensch, aber keine Idiotenfreundin."

Ja, ja. Das nützte mir wenig. Leicht gesagt, schwer getan. Es gab doch nur...

Stunden vergingen, ich stand mit meinem alten Freund Ohrt und sah konzentriert auf die Leute, wie Wissenschaftler auf ihre Mikroben­platten. Ich erlebte, wie das Rosa Schweinchen von Whendle abgewiesen wurde. Das Mädchen mit dem Kim-Schnitt be­wegte sich inzwischen wie eine liebeskranke Spastikerin. Sie war in Ohrt verliebt, starb vor Aufgeregtheit. Einmal wandte sie sich heftig an mich, quetschte mich nach ihm aus.

"Du mußt wissen, ich interessiere mich für ihn sehr stark!” flehte sie.

"Er sich für dich auch." Ich flipperte gerade mit Frankie.

"Was sagst du da?! Weißt du, was du da sagst!"

"Hm. Stör mich jetzt nicht. Frage ihn selber. Aber es ist doch ganz klar, du hast etwas reizvoll Unabhängiges, man sieht dich nie mit Männern zusammen, das stachelt einen an, Stephan jedenfalls, er findet dich bahnbrechend interessant, ich schwör‘s dir, aber nun laß mich in Ruhe." Nun machte es 'Peng!' und die Liehesbombe ging hoch. Armer Ohrt. Ich haßte das Mädchen. Zu Frankle flüsterte ich:

"Laß uns unbemerkt abhauen."

Aber dann waren wir doch wieder sechs Leute im guten alten Wehrmachtskäfer. Als alle nach Hause gefahren waren, wollte ich Frankie, die immer mehr wie Klarabella aus Entenhäuser aussah, auf den großen, lustig-roten Kuhmund küssen. Immerhin war es wieder hell geworden und ein tropisches, violettes, schwüles Morgenrot lockerte die Sinne. Na, ich ließ es trotzdem. Im entscheidenden Moment dach­te ich wie immer an Kim, und das wird schon seinen Grund haben.

Am nächsten Tag rief mich Stephan T. Ohrt an. Dieses liebeskranke Mädchen hatte doch tatsächlich seine Adresse herausbekommen und ihn aufgesucht. Das Treffen war schrecklich gewesen, Ohrt benahm sich am Telephon wie ein Verrückter,

"Sie sagte immer, sie leide unter, ihren Gefühlen, und ihre Gefühle beeinflußten ihren Körper, und ihr Körper werde so schwer, und ihr Hals so trocken, und ihre Knie so weich, und ihr Blut so drückend, und ihr Herz so... platzend."

"Und hast du ihr helfen können?"

"Ich mußte sie anfassen, alles andere hätte nichts genutzt. Gerne habe ich es nicht getan. Es war furchtbar."

Wir verabredeten uns gleich für den Abend. Kurz vor Mitternacht wollten wir gemeinsam in das Lokal 'Alles Wird Gut' gehen und wei­termachen. Das Wetter war ja unverändert.

Den Tag verbrachte ich mit Svenja, wir wuschen die Wäsche in der hauseigenen Waschmaschine, probierten neue Kieidungskombinationen aus, telefonierten gemeinsam (einer hörte immer heimlich mit dem zweiten Apparat mit) mit Fritz Brinckmann, Felix Reidenbach, dem neuen Pickel, Diedrich, Katja Perrey, Angelika, wieder Stephan und Annerose, die aus Los Angeles anrief. Den ganzen Nachmittag saßen wir in Svenjas New-Wave-Zimmer und rauchten eine Camel Ohne Filter nach der anderen. Glutvoll ging die Sonne unter, verschwand hinter den bizarren Fassaden der Nachkriegs-Grindelallee.

Dann war wieder Ohrt-Zeit, es ging los. Es war der 15. Mai 1982.



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