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Port Stanley ist gefallen 22 (Teil 1 & 2)



Abends ging es ins "Alles Wird Gut". Es war der beste Abend bisher, der beste seit Monaten. Ich hatte bis zwei Uhr nachts geschrieben, fand die Freunde in bester Stimmung vor: Donnerstag Abend, nur Ein­geweihte waren da. Großfreunde.

Ein Entree wie ausgedacht: von allen Seiten sprangen blutjunge Mäd­chen auf mich zu. Svenja war am schnellsten und lag mir in den Ar­men.

"Papi, Papi!"

Ich hatte mich vom schmierigen Onkel zum vertrauensvollen Papi ent­wickelt. Cornelia Eberhard drückte es aus:

"Ach, wie mich das freut, Joachim. Du hast dir doch immer so stark Kinder gewünscht..."

Umringt von Diedrich Diederichsen., André Rademacher, Oliver Hirschbiegel, Timo Blunck - und mit Svenja auf dem Arm - wurde ich von einem blonden Mädchen namens Kim Meyer Bruns beobachtet. Conny Groenewold (Diedrich: "Der Andreas von Greverath der 80er Jahre") lud sie für mich auf Svenjas und meine Party am Tag darauf ein. Er hatte noch zehn der kleinen New-Wave-Partyeinladungskärtchen übrig, ver­teilte sie auf unser Geheiß an bestimmte interessante Leute: Götz, Wolf, Mathias Becker... letzterer war ein Grenzfall; als halber Flumieboy brauchte er eine Sondergenehmigung.

Mit Diedrich zog ich mich kurz zurück - er wollte seine Affäre mit dem Entenschnabel-Mädchen ("Das Mädchen mit dem Kim-Schnitt") endlich loswerden. Nur einen Tag nach Stephan T. Ohrt war er nämlich drangewesen. Morgens um vier war er mit ihr abgezogen, Svenja hatte mir horrende Dinge berichtet ("...geblähte Hose, wirrer Blick..."), Stephan gleich nachgezogen. Am Telephon:

"So macht er es immer! Rein in die Büsche. So und nicht anders, als wenn es nichts wäre, als wenn er dafür nichts auf sich laden würde, ganz merkwürdig."

(Ich habe keine Lust, die Affäre aufzuschreiben, es ist mir zu... ich überlasse es der schmutzigen Phantasie eines jeden einzelnen, sich das auszumalen.)

Büttner und andere Künstler sprachen mich auf meinen letzten Artikel an, der an dem Tag über sie erschienen war. So, s, dachte ich er­freut, zumindest für einen kurzen Moment gerat man ins Licht mit so einem Artikel - nicht schlecht, mehr wollte ich nicht, wahrschein­lich ging es Diedrich nicht anders.

Svenja hatte viel Whisky getrunken, war süß, aber auch ausfallend. "Der blöde Diedrich findet sein heruntergefallenes Fünfmarkstück nicht mehr?" blaffte sie, als der Oheim sich bückte. Sin anderer Gast hatte seinen Schlüssel verloren, Neugroßfreund Hirschbiegel.

Ihr "System" frecher Gemeinheiten entpuppte sich plötzlich als schlichtes Beleidigen.

"Ohrt wird auch immer blöder. Er sitzt blöd auf seinem Bett, mit einem blöden Kopftuch um, vor seinem blöden Fernseher, frißt zuviel, kann sich nicht entscheiden..."

"Genug, Kind! Ohrt ist gut."

"Wie hat Ohrt das gemeint, ich sei noch immer die Kim-Ersatzfreundin?"

Ich räusperte mich, hielt inne.

"Kannst du nicht einmal einen Satz bilden, in dem das Wort 'Stephan T. Ohrt' nicht verkommt?"

"Ich will es versuchen."

"Wetten, daß du es nicht kannst?"

"Blödsinn." Svenja schwenkte in ihrer typischen Whiskyhaltung lang­sam hin und her, hatte die Schultern gerade, das Kinn, den Kopf er­hoben, schaute auf die Umstehenden.

"Bitte! Versuch' es doch!" agitierte ich. Sie begann.

"Dieser Raum ist ein guter Ort zum vergnügt sein, er heißt 'Alles Wird Gut'."

"Da war schon wieder das Wörtchen 'Ohrt' drin."

Svenja versuchte es noch dreimal, aber es gelang ihr natürlich nicht. Conny Groenewold, der Sohn des Baader-Meinhof-Anwaltes, lief aufge­regt durch die Flure. Wenn er mich sah, spiegelte sich Entsetzen in seinen großen Augen, für einen winzigen Augenblick. Was hatte ihm Svenja wohl über mich gesagt? War es ihm unheimlich, daß ich nicht eifersüchtig war? Rätselte er über meine sexuelle Veranlagung, da ich doch unbegreiflicherweise nicht mit Svenja schlief? Oder bildete ich mir das Entsetzen nur ein? Oder war er schlicht, wie so viele, von Svenjas Bosheit verunsichert:

"Da, du Idiot." sagte sie und schubste den großen Aldi-Einkaufswagen, in dem er lag und friedlich döste, durch den ganzen Vorraum. Gefähr­lich krachte er an die Kachelwand am anderen Ende. Bevor Conny sich hochrappelte, wiederholte sich der Anschlag. Jemand hatte den Wagen zu Svenja zurückgeschoben, und sie hatte ihn gleich noch heftiger von sich weggeschleudert. Fast sah es wie Ekel aus. Conny rannte, flüch­tete nach unten. Armer Pickel.

Ich sagte zu Svenja, ich wüßte nicht, wie ich die 24 Stunden bis zum Wiedersehen mit Engelchen überbrücken sollte, und ob sie denn mein­te, daß Engelchen etwas fürs ganze Leben sei,

"Was, mit DIESEM Mädchen? Zwei Wochen doch nur, bis Kim wie­der da ist."

"Ach so. " Nachdenklich nippte ich am Sektglas.


Foto: Lottmann Images

Innerlich stellte ich die Weichen wieder auf Rückzug, die vor Engel­chen aufgefahrene Falklandflotte sollte nicht eingreifen. Ich hatte die Adresse, die Termine, Vorlieben, Freunde, ich hatte über sie ge­schrieben, wußte, wo sie abends hinging... jederzeit hätte ich ein­greifen können (ein schönes Gefühl). Aber ich beließ es bei den be­ruflichen Kontakten. Am nächsten Morgen rief ich sie an. Ihre Stimme war sehr unsicher. Sie wußte gleich, wer ich war, obwohl ich beim ersten Mal meinen Namen nicht erwähnt hatte. Sie hatte wohl inzwischen über mich Informationen eingezogen.

"Lottmann, Bild Zeitung. Heute um halb fünf, geht das? Ich hätte es gern eher gemacht, aber ich bekomme keinen Fotografen vorher, lei­der. "

Sie war sofort einverstanden. Der Fotograf, den ich dann tatsächlich bekam, war ein Bildschwein - unmöglich für mein Auftreten bei Engel­chen. Ich trickste ihn aus, engagierte dafür Conny.

Um halb fünf war ich da. Sie erwartete mich, saß alleine im Laden. Wir gingen einen Kaffee trinken.

"Ich bin heute etwas schwach auf den Beinen" sagte ich.

"Das geht heute allen Menschen so" sagte sie.

Wir saßen keine zwei Sekunden, da kam das Cha-Cha-Schwein Nr. 1, der blondgelockte VW-Cabrio-Westcoastmusik-Barboy an unseren Tisch. Engelchen faßte ihn zärtlich an.

"Was machst du denn so heute abend?" fragte sie ihn.

"No Ahnung."

"Ich würde gerne was machen. Weißt du nicht etwas, eine Party oder so?" Er wußte keine, streckte sich nur eklig, grunzte dummerhaft. Engelchen sagte es noch einmal.

"Weißt du echt nichts? Ich langweile mich so."

Nun wurde ich ganz unruhig, weil doch genau an diesem. Abend meine eigene Party stattfand. Ich hielt schon Svenjas New-Wave-Einladungskärtchen in der Hand, traute mich aber nicht, damit herauszurücken, um da3 Cabrioschwein nicht mit einzuladen.

"Gib mir die Nummer von Kai..." sagte Engelchen.

"Welcher Kai?" fragte das Schwein, das übrigens wieder, wie auch im­mer im Cha-Cha, im Unterhemd erschienen war.

"Kai, äh... " Engelchen kam nicht drauf.

"Kai Erikson!" kreischte ich.

"Nein, nein, ein anderer... du weißt schon, Holger, der Typ mit dem Hund gestern."

"Ach ja. Öh, die Nummer hab ich aber nicht."

"Schade, ich habe Bock auf den Typ. Würde gerne was mit ihm machen, heute."

Ein Zeichen, für mich? Ein "Ich-Bin-Frei"-Zeichen?

Engelchen schien mir plötzlich unsicher zu sein, als käme ihr dieses vorgetragene Zeichen plump und durchschaubar vor.

Der Kerl blieb noch ein paar unerträglich lange Sekunden.

"Hier! Party! Guck!" sagte ich, als er endlich weg war, streckte ihr das Kärtchen hin.

"Oh, du machst eine Party..." sagte sie schrecklich triumphierend und maß mich unschön von oben bis unten. Warum dachte sie, ich selbst machte die Party? Auf dem Kärtchen stand nur etwas von Svenja. Ich würgte:

"Ich... ich konnte nicht eher... der Typ eben, der wäre glatt mitge­kommen. "

"Ja, wieso, warum nicht? Magst du ihn nicht?"

"Oh doch... aber, er... er ist nicht eingeladen und so."

Sie guckte mich mißtrauisch an.

"Ist ein guter Freund von mir. Ich kenne ihn seit zehn Jahren" sag­te sie nachdrücklich.

"Ja, ja. Das kennen wir schon."

Kippiebruder Thorsten Ulrich war ja auch ihr Freund gewesen, gestern. Ich holte seufzend meinen Stenoblock hervor.

"Beginnen wir mit der Arbeit."

Sie kapierte nur langsam und widerwillig, daß ich sie für meinen Ar­tikel interviewen mußte. Nur gewaltige Geldmengen und Gewinnaussich­ten, geschäftliche Zuwachsraten, machten sie gefügig.

"Nach dem Artikel kannst du einer, eigenen Laden aufmachen und pro Kopf fünfundsiebzig Mark verlangen. Gunter Sachs wird kommen, Leis­ler Kiep, Holger Hiller, vielleicht sogar Stephan T. Ohrt." "Wer ist denn das, kenne ich gar nicht."

"Ohrt?" ich winkte ab. Nichts zu machen.

Ich stellte die erste Frage.

"Ich muß eine Beziehung zu neuen Zeitströmungen herstellen, mit dei­nem Laden. Es darf kein normaler Friseurladen sein, sondern der allerneueste, tollste, modernste. Also meine Frage: welche Musik spielt ihr hier, welche Zeitschriften liegen aus, welche Philosophien wer­den gehandelt, welche Bilder hängen an den Wänden..."

"Siehst du doch."

Ich guckte mich um. Grauenvoller Hippie- und Frühdrogenkitsch hing an den Wänden, LSD-Gemälde der übelsten Sorte.

"Ja, ja, sehe schon. Hast... hast du diese Kunstwerke aufgehängt? Was ist denn dein Lieblingskünstler, wenn ich mal fragen darf?"

"Petrus Wandrey!"

Zong! Da hatte ich es. Wandrey war ein noch größerer Idiot als der Barboy. Ohrt, Diedrich, Svenja haßten ihn. Fehlte nur noch Udo Lin­denberg in der abscheulichen Liste.

"Wie findest du Udo Lindenberg?"

"Spitzenmäßig, der Mann."

"Liest du?"

Ich ging jetzt mechanisch vor.

"Manchmal den Stern."

"Keine Bücher?"

"Nein."

"Keine Bücher?!" - ich wurde wütend - "Das ist ja nicht zu fassen, wo bin ich denn, ich sehe vor lauter Unsinn die Geschichte nicht mehr... von Kim keine Spur, kann ich nur sagen!"

"Von wem?"

"Ach, unwichtig. Was ist deine Lieblingsmusik zur Zeit?"

"Habe ich nicht."

"Wen findest du außer Petrus Wandrey noch gut?"

"Salvador Dali."

"Unterhälst du dich viel mit deiner Kunden?"

"Hör mal, das Sappelklischee trifft bei uns nicht zu, der Friseur als Sappel-Laden, nein. Bla-Bla wird hier nicht abgelassen. Ab und zu ein persönliches Wort, mehr nicht."

"Ist es wahr, daß du dich gerne unterhalten läßt?"

"Nein, wieso das denn?"

"Du langweilst dich nie?"

"Nein, hier ist nichts gezwungen, alles ist lecker, kein Stress, ich bin gern hier. In den zwei Jahren habe ich mich noch keinen einzi­gen Tag gelangweilt."

"Und wenn keine Kunden da sind?"

"Dann machen wir uns gegenseitig die Haare. Es ist immer interes­sant, immer ohne Hektik. Wenn jemand Hektik mitbringt, fliegt er gleich raus, oder Aggressionen mitbringt - da sind wir gegen. Das läuft nicht mit uns."

Ein kleiner Hund kam in den Laden gesprungen. Engelchen hob ihn auf. "Oh, ist der süß! Und wie das kleine Herz pocht! Das ist noch ein Baby..."

Ohne Zweifel war Engelchen das hübscheste, mädchenhafteste, leichtfüßigste, erotischte Mädchen der letzten Zeit, die Verkörperung al­ler Kim-Zeichnungen und Aquarelle.

Aber was nützte es? Ich klappte den Block zu.




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