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Stephan und Lojo in Amerika 10


29.6.78 Das Amerikabenteuer war also gut ausgegangen, es war zu seinem Happy-End gekommen, man hätte nach Hause fliegen müssen.

Aber wir blieben. Keiner konnte es richtig fassen. "Was noch?" sah mich Martine fragend an. Paul hatte keine Lust, die Magnum immer noch in die Hand zu nehmen, nachdem ich sie ihm am letzten Tag feierlich zurückgegeben hatte. Martines amerikanischen Freunde mochten nicht mehr länger warten und luden sie wieder zum Essen ein – ohne die German Boys.

Stephan und ich saßen in dem mexikanischen Häuschen, aber nicht lange. Es war nicht möglich, sofort umzuschalten. Auch war das Häuschen trübe ohne Möbel, das Wetter schlug um und wir froren. Schon ab acht Uhr wurde es so dunkel, dass wir uns unter die dünne Decke legten und einschliefen.

Es war erstaunlich, wie die Lebensgeister in diesen Tagen beständig zurück gingen.

Noch am Sonntag, dem Tag, mit dem der erste Reisebericht endet, sprengte die ich die UCLA, um Fotokopien zu machen, brachte das Universitätspersonal (110 Mann) um die Sonntagsruhe, nichts hielt mich auf, was ich mir in den Kopf gesetzt hatte, führte ich zu Ende. Abends schleifte ich Stephan durch die Straßen, die Mädchen pfiffen mir nach, als ich einmal vor einem mannshohen Spiegel stehen blieb, sah ich es: zum ersten Mal in meinem Leben sah ich besser aus als Stephan T. Ohrt. Der alte Kindheitstraum! Vergessen all ide Zurücksetzungen! Vergessen all die Zurücksetzungen seit der Sandkastenzeit! Sandkasten, Kindergarten, Ponyhof, Konfirmationsunterricht, Tanzschule, Glitterszene – immer sah er besser aus als ich. Heute aber waren die Haare fettig, obwohl er sie zweimal gewaschen hatte, die Pickel hässlich, die Körperhaltung schlapp, das Gesicht alt und leer. Er war während dieser Reise zum Satelliten geworden, ich hielt ihn ein bisschen am linken Jackettärmel, damit er nicht umfiel. Wir sahen den Film "Pretty Baby". Es war schlecht, schlecht, schlecht. Ich saß und beugte mich vor und zurück, stieß immer wieder das Wort "schlecht!" hervor, einfach, weil es so schlecht war. Fehler über Fehler. Inhalt: das lustige Bordell, die junge Brooke Shields hin und her gerissen zwischen Frau und Kind, das heißt zwischen Fleischeslust und Balgerei. Fleischeslust im Bordell, damit fing der Nonsense erst an. Der ganz normale, anspruchslose Soft-Porno wurde hier mit sogenannter Kunst überbacken und damit unerträglich. Stephan und ich verließen vorzeitig den Saal und kotzten uns aus. Wir gingen in eine amerikanische Großraum-Imbißstube. Knallgelbe Lampen und gekachelte, gelackte, leuchtrote Einrichtung. Auf die Speisen in einheitlichen Farben, nämlich gelb und braun. Die Bedienung in denselben Farben. Neben uns standen zwei unsagbar ordinäre amerikanische Mädchen, beide 13, kaugummi kauend, die Lippen voll und hässlich, die Hintern an unsere Beine pressend. Im Raum flimmterte es, Stephan und ich spielten LSD, es war nicht schwer. Dann fuhren wir zu unserem Häuschen, Stephan ging schlafen und ich ging zu Susu, unsere Gastgeberin. Adolf Hitler und kein Ende. In grenzenloser Dummheit beschwor sie mich, wieder an das Gute zu glauben, und das Leben, die Tiere und Bäume, an die Atmosphäre, die Vibrations, und so weiter. Die positive Energie! Überhaupt das Positive! Nicht das Negative! Nicht an das Schlechte, an Tod und Teufel! Es war nicht überraschend, so etwas zu hören es war das normale Weltbild der Amerikaner, die sich Antagonismen und Interessengegensätze nicht anders als aus der Superman und Batman-Perspektive vorstellen können. Es geht nur um Gut und Böse, für das Gute kämpfen Superman ganz Amerika, für das böse kämpft – man sollte es nicht für möglich halten - Adolf Hitler und seine Anhänger. Als ich endlich gereizt fragte, was sie denn gegen Hitler habe, schlug sie drei Kreuze auf der Brust und schickte mich hinaus. Ich weckte Stephan und erzählte ihm alles.


Am nächsten Morgen kam Martine. Es fällt mir schwer, alles weitere zu rekonstruieren, es muss furchtbar belanglos oder das Gegenteil sein. Das nächste, was ich erinnere, ist Dienstagabend, bei Nancy. Ich glaube, es waren sehr schöne, ausgelassene Tage, jedenfalls weiß ich noch genau in welcher Unternehmungslust wir zu Nancy fuhren. Ich dachte: wenn wir Nancy nicht gewinnen, haben wir keine Chance mehr. Jake und Bob haben wir bereits gegen uns aufgebracht. Ich war frech und übermütig, traf damit genau ins Falsche. Denn sie hatte gerade mit ihrem Mann Schluß gemacht und vertrug keine Witze. Außerdem hätte sie bereits von unserer schlechten Reputation gehört, sagte sie. Im Raum saßen insgesamt drei Frauen, auf den ersten Blick konnte man meinen: Aha, Emma-Milieu, Frauenbewegung. Denn es waren ohne Zweifel emanzipierte, reife, ein wenig männliche Frauen*, jedenfalls zwei davon, die dritte dafür potthässlich, allen Weiblichkeits-Schönheits-forderungen ins Gesicht rotzend, eingebildet und unfreundlich. "Ich kenne doch meine Pappenheimer" dachte ich. Meine gute Laune war weg ich weigerte mich, zu konversieren, tat es dann doch konnte es natürlich nicht, wurde auch falsch verstanden, hatte das Gefühl: die mögen mich nicht und ich mag sind die nicht. Stephan dagegen war schnell der Liebling der Szenerie. Alle fanden ihn schön und da er da er nichts sagt er ausser sinnentleerten Stummelsätzen, machte er auch nichts falsch. Ich war sehr froh, dass er da war, noch mehr war es Martine, die endlich Stephans Wert zu begreifen begann, und auch das Emma-Milieu fand ihn süß, unseren geschlechtslosen Hamburger Modezeichner. Die nächsten Tage blieb es dabei dass Martine Stephan sehr süß fand, sehr gut aussehen fand, sehr interessant fand, ihn für einen tollen Zeichner hielt, ihn gerne anfasste, u.s.w., sodaß der Junge immer mehr aufblüte und sich bereits am Mittwoch wieder auf den Beifahrersitz setzte. Am Mittwochabend war die Entwicklung so weit fortgeschritten, dass jeder jeden gleich gerne hatte. Ich war durchaus zufrieden mit dem Zustand. Oder machte ich mir etwas vor? Denn Stunden später warf mich Gelbsucht, Blutvergiftung und Migräne aufs Bett. Ich fantasierte und schlug um mich. Martine sollte kommen und mich lieb haben. Aber ich war nur in dem dunklen, kalten Häuschen, ohne Möbel, ohne Telefon. Stephan trug mich ins Auto, legte mir die Hände auf Steuer und ich fuhr los. Die Heizung war angestellt, es wurde schnell so heiß, daß Stephan eine seiner Herzattacke bekommen hätte, hätte er sich nicht schon wieder auf Martine gefreut. Tatsächlich pflegte mich Martine gesund. Am nächsten Morgen war mein Magen noch nervös, aber ich war außer Gefahr. Ich ging mit Martine frühstücken und sie war auch ganz nett, aber als Stephan auftauchte, leuchtete sie vor Glück. Ich tippe eher auf die Schulter: "Du, Martine, ich will lieber doch mit dir gehen." Sie zuckte mit den Augen und sagte: "Wie schön Lojo, äh, Joachim, dann sind wir ja also jetzt zusammen. Ich grinste unbeholfen, bestellte Schonkost und schrieb Geschäftsbriefe. Stephan und Martine flatterten davon.

Ich fuhr alleine durch L.A., hatte mein Auto wieder für mich, da Martine ihn aus der Werkstatt geholt hatte. Was für ein Unterschied zu meiner letzten Fahrt alleine, als ich noch auf dem Berg gefahren und größenwahnsinnig geworden war. Diesmal ließ ich mich wegen lächerlicher Fotokopien von einem Laden zum anderen schicken. Schließlich rollte ich mich für ein paar Minuten in den Rücksitz zusammen, spannte alle Muskeln und rannte in den Laden. Aufgeregt holte ich den Drucker von seiner Maschine und hielt ihn an, mich sofort zu bedienen. Als er den Knopf schüttelte, sagte ich: It’s okey. Do it. It is for Mrs. Getty. Sofort begann der Mann zu arbeiten und mochte am Ende sogar das Geld nicht annehmen.

Fotos: Gisela Getty

Ich verließ den Laden, fuhr zurück. Als ich ins Haus ging, waren Stephan und Martine bereits da, ich hörte ihre Stimmen."Es ist so gute Energie zwischen uns" hörte ich Martine sagen und Stephan stimmte artig zu. Ich hatte keine Lust, in die Küche zu gehen. Mein Magen machte sich wieder wirklich unangenehm bemerkbar und ich blieb auf dem Bett liegen. Später rief Jake an und lud Martine zum Dinner ein. Die German Boys sollten auf keinen Fall mitkommen. Martine wusste nicht, ob sie zusagen sollte, sie sah mich fragend an. Ich rauche eine Zigarette und erwischte einen Zipfel meine Souveränität, riet ihr ohne mich verstellen zu müssen sie solle hingehen. Das gefiel Martine wieder so gut, daß sie nun erst recht schwankend wurde. Als ich wenig später auf den Stufen vor der Veranda die zweite Magenattacke bekam, sagte sie Jake zu. Ich saß auf den Stufen, ein buckliger Junge mit Magenschmerzen, ein Riesenbaby. Stephan guckte auch nicht glücklich, er sah sich von anonymen Mächten auf die Rücksitze verdrängt, während er mich schon im Kofferraum wähnte. Martine war gnädig, sie ließ mich die Kinder abholen. Ich tat das und als ich wieder kam, war sie bereits weg. Stephan fuhr uns zu so Susu's Haus, dem trüben Häuschen. Stephan hatte heute Führerschein gemacht, eine unglaubliche Sache, die erste Prüfung, die er in seinem Leben bisher bestanden hat. Martine hatte neben ihm gestanden und ihm Komplimente gemacht. Also, wieder im Häuschen, überkam uns erneut die trübe Stimmung und wir schliefen ein. Um Mitternacht kam Martine in bester Verfassung. 4 Stunden wäre sie charmant gewesen, wunderbar wäre es gewesen. Stephan übernahm das Gespräch, er plapperte, sie plapperte, sie gingen auf die Toilette, schminkten sich, lachten, Martine schmiegte sich an seinen Arm. Dann trat sie auf mich zu und wir standen uns koloßartig gegenüber. Irgendwann lachte sie und ich nahm sie spontan in den Arm, hatte dann das Gefühl, Großepütterleini zu halten, meinen alten Holzwolleteddy. Sie schlug vor, auszugehen, ich konnte das gerade noch verhindern. Es wäre ein Abend ohne mich geworden. Also ging Martine und ich gab ihr aus Versehen die Hand. Ich ich sagte: "Vielen Dank, dass du gekommen bist, es war sehr nett." Sie ging und drehte sich nicht um. Erst ganz am Ende, als sie sicher war daß ich nicht mehr gucken würde, blickte sie kurz zurück.



(*12) Das feministische Mannweib - ein zeittypisches Klischee, das die Gesellschaft überwunden hat und der Autor nicht erst heute entschieden zurückweist.

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