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Stephan und Lojo in Amerika 15



8.7.78


Und jetzt reicht es langsam. Tatsächlich zogen wir gestern in die 35-Millionen-Villa Paul Morriseys, tatsächlich kam heute ein 1.000-Dollar-Scheck aus Hamburg, aber Amerika als solches ist nicht mehr auszuhalten. Martine ist reizender und liebevoller denn je, Stephan treuer und zuverlässiger als in Hamburg, das Wetter ist strahlend und das Wasser frisch, aber sonst! Alles so einfallslos und plump. Ganz Los Angeles lebt von der Filmindustrie, es gibt keine Fabriken, keinen Mittelstand und kein Kleingewerbe, alle sind bei den Movies. Es gibt keine Architektur und keine Infrastruktur, sondern 4 Millionen Einfamilienhäuser, schachbrettartig aneinandergestellt, eine Fläche wie Bayern bedeckend, ständig monotone Autostunden fordernd. Die meiste Zeit verbringt man im Auto. Man muß sich das vorstellen: nichts ändert sich, die Stadt hört nie auf, es sieht immer und überall gleich aus. Donald-Duck-Holzhäuser mit Garten davor und Auto. Nirgends sieht man einen Arbeiter, keine Straßen werden ausgebessert, keine Häuser renoviert, kein Footballteam das trainiert… es ist schleierhaft. Ausserhalb von L.A. (wo mag das nur sein?) soll es Automobilfabriken geben. Hier innerhalb der Stadt, gibt es nur Skriptwriter und Actors. Es gibt keine Zeitungen, beziehungsweise, es steht nichts Interessantes drinnen. Keine Politik, keine ideologischen Richtungskämpfe, kein Bewußtsein. Schlimmer noch das Fernsehen. Das ist überhaupt kein Fernsehen! Sie spielen den ganzen Tag Spielfilme und schieben Werbung dazwischen. Keine anderen Sendungen, also überhaupt keine Sendungen. Einzige Ausnahme: Talkshows. Jeden Tag auf allen Kanälen, jeder Hans und Franz darf sich exhibitionieren und ausplappern. Daß uns ganz Hollywood nicht leiden kann, ist auch nicht interessant. Heute wieder so ein typischer Fall: Stephan, Martine und ich fallen in die Wohnung zweier Fotografen ein, bedienen uns, holen Champagner aus dem Kühlschrank, lassen hier und da was mitgehen. Die Fotografin ist freundlich zu Martine, sagt aber mindestens zehn mal, daß sie Paul sehr möge. Sie gibt uns nicht die Hand, ein Segen!, denn sie ist ein fettiges, unappetitliches Schwein, dessen Hand ich garnicht anfassen möchte. Ständig lacht sie säuisch, sodaß ich ihr Lachen imitiere, was sie nicht merkt, und ich mir nur denke: Du dickes, widerliches Schwein, ein Gesicht zum reinschlagen, jeder deutsche Fließbandarbeiter* hat mehr Kultur als du... Der Ehemann liegt in der Hängematte und trinkt Whisky. Um mit ihm irgendetwas anzustellen leihe ich mir von ihm 50 Dollar und sein Auto, sowie eine Flasche Sekt und einen Film. Anschliessend spielen wir Billiard, ein großer, guter Billiardtisch steht im Gartenhaus. Die Fotografin kommt betrunken auf uns zu, Polaroid-Kamera in der Hand, sie drückt ab: sssumm, sssumm, u.s.w. Die Bilder kommen sofort hinten raus und fallen zu Boden. Einige greift sich der Hund, beisst drauf, andere zerreisst, Baltazar, Martines Kind. 3,4 Bilder gelangen in meine Hände und ich stecke sie weg. Die Fotografin legt - schwupp - einen zweiten Film ein. Die Kamera hat einen Defekt und spuckt in wenigen Sekunden alle Bilder aus, unentwickelt, der Hund freut sich drüber. Wir fahren wieder ab, der Ehemann begleitet uns torkelnd zum Auto. Ein typisches Erlebnis, lustig zum aufschreiben, in Wirklichkeit jedoch und in seiner Wiederholung nach 5 Wochen: Widerlich!


(*18) Natürlich muss es hier heißen: internationale Fließbandarbeiter:innen.





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