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Stephan und Lojo in Amerika 16





9.7.78


Samstagabend – wieder große Party in Hollywood. Vier von insgesamt acht Menschen, die nur dazu da waren, der Prominenz den Wagenschlag zu öffnen, rannten zu unserem Auto und halfen uns aus den Sitzen. Der Name wurde gecheckt, danach wurden wir auf einen extra für die Party angelegten Kiesweg geschickt, sehr unheimlich, mit tausenden von Fackeln an den Seiten, auch roten und grünen Lampions und Osram-Strahlern made in Germany. Üppige Vegetation rundherum, Grillengezirpe, wie aus dem Lautsprecher, Pink Floyd-Effekt. Dann mischt sich langsam Musik dazu, wir nähern uns der Villa, wir nähern uns der Disco-Musik. Billig dampft dümmlicher Baß durchs Gras. Dummda – Dummda – Dummda – dummda…. Ein letzter Funke von Stil: an der Eingangstür die Gastgeberin, schwarzes Abendkleid, blonde Haare streng zurückgekämmt, dunkelblaue Augen. Sie heißt uns willkommen und betrachtet uns interessiert. Martine möchte es plötzlich ganz genau wissen, mitten in dieser Party, kaum daß wir die Eingangstür passierten: „Wie und wer und was ist Annerose?“ Ich glaube, ich höre nicht recht. „Wie meinen, liebe Martine?“ Wieder in dem schweren dunkelgrauen Anzug steckend, drehe ich lediglich den Kopf um 30° weiter zu ihr. Ruhig fährt sie fort: „Ich kann mir kein Bild von dieser Annerose machen. Seit Monaten höre ich immer nur Sommersprossen, weit auseinanderliegende Augen – was soll man damit wohl anfangen?“ Ich berichte ihr, wie schon so oft, Augenfarbe, Gewicht, Körpergröße, Knochenbau und Kopfform. Martine aber möchte wissen, wie Annerose innerlich, charakterlich ist. Ich sage: „Erstmal die Party geniessen“ und gehe mit Stephan und Martine in die Mitte des Hauptraumes. Timothy Leary streicht gut aufgelegt wie Fritz the Cat durch die Reihen. Ich gebe Martine einen Kuß, Stephan guckt weg, dafür gucken andere zu, die das garnicht sollen.: Martines Schwiegermutter nämlich, die mitsamt Leibwächtern erschienen ist, die alte Mrs. Getty. Es gibt eine schreckliche Begrüßung, die alte Mrs. Getty gibt mir knackend die milliardenschwere Ölhand, der Leibwächter lässt die Muskeln spielen, die anderen beiden gehen schon in den Garten, wo sie mich erwarten, um ein Wörtchen mit mir zu reden. Draussen steht Stephan, bleich und weiss, das Glas in der Hand. Er mag nicht mehr hinein gehen, er findet die Leute ordinär. „Sie sind enterbt, liebes Kind“ sagt die alte Mrs. Getty zu ihrer Schwiegertochter. Später vertraut mir Martine an: „Sie kann garnicht enterben, der Alte hat sie selber enterbt, sie hat nur noch ein paar Millionen. „Britt Eklund, ehemalige Rod-Stewart-Freundin, fiel in den angestrahlten Swimming-Pool. Wir versuchten, Stephan zu helfen. Stephan: „Alles, was wir vorher ablehnten, war nicht so geschmacklos wie diese Pöseldorfparty hier, Kleinbürger allesamt! Neureiche Kleinbürger, soziale Aufsteiger, gewissenlose Emporkömmlinge, billige Visagen! Die Discomusik bringt ihre Geschlechtsorgane in Vibration, sodaß sie sich aufrichten und aneinander festsaugen.“ Martine nickte und bekam große Augen: „Mein Vater mochte die Amerikaner auch nicht. Barbaren, sagte er.“ Ich pflichtete wohlmeinend bei: „Ganz meine Worte: Untergang des Abendlandes.“ Martines großgewordene Augen leuchteten: „Ja, ja! Der Yankee-Imperialismus! Dem macht es nichts aus, die deutsch-europäisch-abendländische-christliche-äh, die Kultur überhaupt zu Fall zu bringen.“ Stephan warf sein Glas den Abhang hinunter. Er ballte die Fäuste. „Diese Schnauzbärtchen, diese John-Travolta-Anzüge, ach hören wir auf.“ Jennifer, ein wahrer Engel unter all den Phonies, tauchte an allen Ecken und Enden auf und verband mich mit anderen. Sie war immer plötzlich da, faßte meinen Arm, und stellte mich den gerade Umstehenden vor. So lernte ich ein gutes Dutzend Münchener bzw. New Yorker Café-Capri-Besucher kennen, sympathische Nichtstuer, geschichtslos und langweilig, aber nett. Stephan und Martine sahen mir zu und lachten sich tot. „Guck mal –“ prustete Stephan und verkleckerte Whisky vor Aufregung, „Lojo redet mit einem Amerikaner!“ Sie hielten sich die Bäuche vor Heiterkeit, Stephan mußte sein Glas wegstellen. Martine kreischte und gluckerte: „Nein, nein, nein, das KANN einfach nicht wahr sein! Guck doch bloß! Der redet wirklich mit dem!“ Nach zehn Minuten war ich fix und fertig, ich setzte mich auf einen Stuhl und Stephan und Martine trockneten meine Stirn. Die Capri-Leute hatten mir Kokain gegeben, mich zum Achterbahnfahren eingeladen, hatten die deutschen Zahlen eins bis zehn vorgesagt sowie Worte wie „Kartoffel“ oder „Schatzi“, hatten von ihrer Militärzeit erzählt. 5 Jahre Heidelberg, 3 ½ Jahre Kaiserslautern, sie hatten gelernt, von eins bis zehn zu zählen. Ja, es hatte ihnen so gut gefallen in Deutschland, ihre schönste Zeit bisher. Schatzi, Kartoffel, ja-ja, Eins-zwei-drei-vier-fünf-sechs-sieben-acht-neun-zehn, hohoho! Ein großer Spaß, dieses Deutschland.




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