9.7.78
Wie ging es weiter?
Wir waren angeödet, standen mit langen Gesichtern in der Ecke.
„Wenn wir nicht sofort anfangen, über Tod und Teufel zu diskutieren, wird es ganz schrecklich für uns werden,“ sagte ich.
Also erzählte Martine das nächste Kapitel aus ihrem Leben. Sie gab sich keine Mühe dabei, redete nur, um sich zu beschäftigen, sodaß folgendes herauskam:
„Peter habe ich nicht geheiratet, diesen Grobian, bei dem ich Haarausfall und Schlimmeres hatte, diesen unwissenden Kerl mit seinen roten und blauen Ritterhemden, stattdessen habe ich Gerd geheiratet. Gerd hatte auch einen eineiigen Zwillingsbruder oder so etwas Ähnliches, so einen allerbesten Freund, den bekam dann Jutta.“
Martine nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Whiskyglas.
„Gerd hieß mit Nachnamen Büttenbender, heißt heute noch so, ist heute in Hamburg beim Lerchenfeld, der Kunsthochschule. Man kann ihn da besuchen. Später habe ich mit Carlo Ponti in Rom gesessen. Mit Mick Jagger bin ich Hubschrauber geflogen. In London habe ich eine Woche jede Nacht Mensch-ärgere-dich-nicht mit ihm gespielt, bis es hell wurde. Bob Dylan habe ich dann in L.A. kennengelernt. Eigentlich wollte ihn Jutta haben. Büttenbender und seinen Zwilling hatten wir längst in Kassel liegen gelassen. Mick machte ein Free Concert für 250.000 Leute, ich saß auf der Bühne, Mick zog seine Show ab und saß dann wie ein Äffchen neben uns, ich meine: nach der Show war er völlig fertig, wollte sich zusammenrollen und sich verstecken. Jutta und ich fütterten ihn mit Honigbrei, Mick guckte nur ängstlich.“
Martine nahm einen langen Schluck aus dem Whiskyglas.
"Wenn ich Bob Dylan auf Parties treffe, schleichen wir verklemmt umeinander herum. Wir brauchen Stunden, ehe wir das erste „Hallo“ wechseln. Sehr spät dann unterhalten wir uns. Unter einem Vorwand entwinde ich mich dann dem Gespräch und fahre nach Hause. Einmal sah ich noch, wie er mir hunderte von Metern hinterherrannte und laut meinen Namen rief. Ja, so ist Bob Dylan. Als Teenager habe ich ihn angebetet, das kriege ich einfach nicht weg. Mit Leonard Cohen ist es einfacher. Er ist ganz einfach ein Mysterium, er empfindet eben so tief und schreibt Schnulzen. Was für ein Mann. Man muß mit ihm in die Berge fahren. Er ist es, der einem die Liebe entdeckt, den Wahnsinn, ja, ja. Eine Schnulze hat er sogar für mich geschrieben. Netter Kerl, der Leonard. Immer mysteriös. Wir hatten eine Zeit lang denselben Manager, aber bei mir lief es nicht so gut mit dem Mysteriösen, obwohl meine Augen was hergeben. Aber was rede ich, Cohen war jedenfalls einfacher als Dylan. Hab mit ihm über Autos und Schauspielerei gesprochen. In Rom wollte Ponti mit mir filmen, aber in Washington wartete Gerald Ford mit dem Frühstück auf mich, da bin ich in die Staaten geflogen. Alles für die verdammte Individuation. Rainer Langhans rang die Hände, „tu’s nicht“ beschwor er mich. Langhans wollte mit mir ins Kloster gehen, aber ich zog die Individuation vor. In New York wurde ich von Patti Smith überfallen, das muß ich noch erzählen..."
Martine erzählte die Patti-Smith-Geschichte, ich aber wurde plötzlich in meinen Gedanken nach Hamburg geschleudert. Gräßlich, aber wahr: während Martine erzählte, während die dumme Patti Smith draussen zu blöder Discomusik tanzte, wurde in Hamburg in 125.000 Zimmern ihre Platte gespielt. Leute wie Eva Klose wippten gerade mit dem linken Fuß zum Takt*. 125.000 Hamburger denken gerade: wie vital die Smith doch ist, wie enorm expressiv, eine echte Visionärin. Und Jan Bertheau denkt: „Ja, das ist Kunscht (er meint: Kunst), da ist kein Kompromiß , da ist alles echt! Kein angekränkelter Geist, überhaupt kein Geist, nur Kunscht.“ Hamburg und Amerika, alles gleich schlimm...
Plötzlich bekam ich Depressionen. Er hatte ja überhaupt keinen Sinn, nach Hamburg zurückzufliegen! Diedrich wurde von Nici abgeblockt, Nici selbst war durch nichts mehr zu gewinnen, ihr Haß und ihre Kleinlichkeit hatten sie selbst völlig verzehrt, nur noch ihre langen dicken Haare waren von ihr übrig. Blieben noch Annerose und Stephan. Letzterer sagte: „Ich ziehe nicht in deine Wohnung, ich will meinen Elfenbeinturm behalten.“ Das heißt: man kann Stephan abschreiben. Mir wurde ganz übel, als ich das alles überdachte. Zum Glück nahm mich Martine an der Hand und wir verließen die Party. Wir fuhren in meine und Stephans neue Wohnung und ich legte mich sofort schlafen.
(*18) In den Archiven der Gesellschaft ist zufällig verzeichnet, dass Eva Klose in diesem Moment im „Why not“ in München zur „Musik“ der Buzzcocks tanzte.
