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Stephan und Lojo in Amerika 4





14.6.78


Als ich diese Zeilen schrieb, hatte ich alle Mühe – das Happy End war vorbei, noch während ich es beschrieb (aus formalen Gründen schloß ich den Bericht mit diesem Happiend und beließ alles weitere der nächsten Eintragung). Leider weiß ich nicht mehr… wir gingen Baden, Stephan, Martine und ich, danach begann, unmittelbar nach der großartigen Plauschballszene, der Umschwung. Martine entschuldigte sich – sie wollte ein bisschen mit dem Besitzer des Pools sprechen, ging aber in Wirklichkeit hinaus, um allein zu sein. Ich hatte auf meine Art dasselbe getan, ich verzog mich in eine Ecke, um zu schreiben, und traf dabei auf Martine. Stephan lag in der Sonne und ahnte von nichts. Unsicher lächelnd saßen Martine und ich in derselben Ecke und brachen wenig später auf. Wir fuhren zum Haus, Stephan ahnte noch immer nichts, munter vor sich hinpfeifend machte er Obstsalat. Martine sah man an, daß sie allein sein mußte, ich schrieb weiter, hatte endlich eine Ecke für mich alleine gefunden. Während ich schrieb hatte ich wegen der heraufziehenden Katastrophe Herzklopfen, unterdrückte es aber, weil ich, nach ausschließlich deprimierenden Tagen endlich etwas Schönes schreiben wollte. Natürlich ließ ich auch alles weg, was der Familie meiner Gastgeber unangenehm wäre, auch meine innersten Gefühle, weil ich alles vorlesen wollte, sodaß nur das Happiend übrig blieb, das dann auch dünn ausfiel. Azurblauer Himmel, mehr fiel mir nicht ein, obwohl es in der Tat… aber jetzt eben nicht mehr, Gewitterwolken zogen herauf… ich wurde ins andere Zimmer gerufen, wo Stephan noch immer laut pfeifend die Obstsalatteller servierte. Martine schlug inzwischen auf die Kinder ein*. Ich merkte sofort, was los war, und es überraschte mich wirklich nicht. Es bedrückte mich natürlich und wäre der vorzügliche Wein nicht gewesen, ich hätte nicht den Mut gehabt, das heiße Eisen anzupacken. Ich sagte, daß mir ein wenig nach Vereinzelung zumute wäre und ich gehen wollte. Stephan protestierte. In völliger Naivität sagte er: „Nicht, es ist doch so gemütlich hier.“ Martine geriet nun in große Schwierigkeiten. „Ja, es ist doch so gemütlich.“ log sie verzweifelt. Ich trank noch ein Glas Wein und versuchte es erneut: Ich müßte einkaufen, ob Stephan mir nicht helfen wollte? Bat ich ihn. „Nein, nein“ versicherte er ungetrübt, „ich bleibe bei Martine und plaudere ein bisschen, wir machen uns einen lustigen Abend.“ Ich stand ratlos da. Martine schlug erneut auf die Kinder ein, ihre Augen sahen aus wie schwarze Wunden, wie auf den Photos. „Bitte begleite Lojo“ sagte Martine, wobei sie etwas entsetzlich Unbeherrschtes in der Stimme hatte, etwas, was sie nicht mehr in den Griff bekam, sosehr sie auch wollte. Stephan wehrte ab. „Nein, ich finde es wirklich besser, mit Martine in aller Gemütlichkeit den Abend zu verbringen.“ Ich setzte mich wieder. Wir tranken weiter den vorzüglichen Wein, plauderten und blieben die nächste Zeit zusammen, verlebten zu dritt einen Abend, der damit endete, daß Martine nicht mehr auf die Kinder einschlug, sondern Stephan und mich aus dem Haus warf.

Soweit die Gettys. Ich setzte mich also wieder in meinen Ford Mustang, stellte Bremskraftverstärker, Servolenkung und Hitparade an und fuhr bis weit nach Mitternacht durch Los Angeles. Stephan hatte seine gute Laune verloren und schlief neben mir auf dem Beifahrersitz ein. So war ich also allein und doch nicht allein, strich dem schlafenden Stephan liebevoll über den schönen Hinterkopf und drehte die Musik etwas leiser. Ach ja, eine große Reise, trotz allem. Ich fuhr zur Japanerin, führte Stephan ins Haus und ließ ihn mit ihr schlafen*. Ich rauchte draussen eine Zigarette und sah zum Himmel, wo die Sterne blinkten. Ich rauchte noch eine, führte dann Stephan wieder hinaus, zurück ins Auto, und fuhr den Sunset Strip hinunter. Stephan schlief, ich trug ihn in eine Imbißstube, holte Kaffee und Hamburger und setzte mich mit ihm auf eine Bank nach draussen. Wir redeten wenig, weil Stephan wieder einschlief, noch während er aß. Ich weckte ihn und wir gingen spazieren. Stephan gefiel mir gut, er hatte nichts Wehleidiges oder Selbstironisches mehr an sich, es ging ihm schlecht und wir waren offen zueinander. Über Martine redeten wir natürlich nicht, wir sprachen von Filmen und Holliwoodstars, sahen uns aber offen in die Augen. Stephan ließ sich ein chinesisches Gummimännchen pressen. Wir fuhren zurück zu Martine. Unterwegs war Stephan eingeschlafen, sodaß er plötzlich ganz unvermittelt vor Martine stand. Ich ging schnell ins Bett, Stephan plauderte noch ein wenig mit Martine und kam dann überraschend schnell hinterher. „Der nächste Morgen“ dachte ich und schlief ein. Der nächste Morgen begann damit, daß Stephan und Martine in aller Gemütlichkeit plauderten, sodaß ich dachte: „Na also, war alles nur Spaß, das Leben geht weiter.“ Mein Zutrauen wuchs, Martine war nett und aufmerksam zu mir, wir fuhren ins beste Restaurant Hollywoods. Alle möglichen Stars wollten neben uns sitzen, Timothy Leary, Steven Spielberg, Roman Polanski, doch Martine winkte immer ab, wir blieben exclusiv. Noch nie hatte ich mich so wohl gefühlt und ich sah mir gerade die kleineren und gescheiteren der vielen Stars an, als Stephan mit den Put-downs begann. Ich erzählte Martine, was für ein entsetzlicher und unmöglicher Tänzer Stephan sei, wie er auf der Bühne mit den Knien einknickt und aussieht als würde er jeden Moment einer Herzattacke erliegen… ich erzählte also nur das Allerbeste über Stephan, daß alle Menschen auf der Bühne und im Lokal vor Schreck wie erstarrt dastünden, daß Stephans Tanz jede nur denkbare Konvention, Gegen-Konvention und Gegen-Gegen-Konvention durchbrechen würde und so weiter, man sieht, nur Gutes, Aufregendes, Außergewöhnliches, so wie ich es immer tue, wie ich ihn groß gemacht habe in der Szene, und in diesem Augenblick sagt Stephan fast beiläufig zu Martine: „Lojo tanzt wie ein ----.“ ich will den Ausdruck, die unfassbare Gemeinheit nicht zu Papier bringen. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Der Tag war vergällt, die Freundschaft gestorben, meine Reputation dahin, ich packte in Gedanken meine sieben Sachen zusammen. In Gedanken stieg ich die in der Hitze flimmernden Stufen zu Lookout Mountain hinauf, klingelte ein letztes Mal und ließ mir mein Bündelchen geben. Wie konnte Stephan nur so gemein sein? Wie konnte er nicht wissen, daß so etwas jede Freundschaft tötet? Alles darf man tun, aber man darf nicht den anderen geringschätzen. Mir fiel wieder ein, daß ich schon im Flugzeug diese Geringschätzung entdeckt hatte und darüber in helle Panik geraten war. So war nun also dieses Kapitel abgeschlossen und ich konnte meines Weges gehen. Wortlos aß ich die Vorsuppe. Stephan schlug weiter in die gleiche Kerbe. „Wir können ja“ sagte er zynisch, „die Rechnung zu Annerose schicken.“ Martine wiederholte den Namen, etwas fehlerhaft: „Zu Annemarie?“ Ich verbesserte: „Annerose.“ Martine sagte, sie hätte das Gefühl, etwas Gemeines gesagt zu haben und sah mich an. Sie tat so, als hätte sie und nicht Stephan das mit der Rechnung gesagt, ein kleiner Kniff, der es mir ermöglichte, die Sache zu besprechen. Es war dasselbe wie am Vorabend, als ich sagte, ich hätte die Sehnsucht nach Vereinzelung, obwohl sie es war, die sie hatte. Kurz und gut, wir besprachen alles, Stephans Geringschätzung und so weiter, es wurde immer mehr freigelegt, nach und nach, nicht alles natürlich, Martine zeigte sich als, wie ich fand, ganz hervorragende Gesprächsleiterin. Nun, diese Aussprache glückte nicht 100%ig, richte aber, um die nächsten 24 Stunden zu sichern. Vom Restaurant aus fuhren wir Schuhe kaufen, Hemden kaufen, Tanken, wir fuhren in die MGM Studios und Martine besuchte ihren Produzenten. Stephan und ich gingen durch die Studios, gaben Robert de Niro die Hand, gaben selbst Autogramme, zumindest Stephan, der für David Bowie gehalten wurde. Martine aber stieg die weißen Marmortreppen des MRG-Haupt-und Stargebäudes hinauf, Stephan setzte die Sonnenbrille auf, ich griff ihn an die Schulter und sagte: „Sieh nur!“ Er drehte sich um und beide sahen wir Martine hinterher. Stephan sagte, unendlich zu leiden und Martine sagte, sie wolle keine Zweierbeziehung. Das Auto blieb stehen und die Öllampe blinkte. Stephan mußte hinten sitzen, wochenlang hatte er den psychologisch so wichtigen Beifahrersitz neben Martine behauptet. Der Junge war gebrochen, mindestens einen Tag war ich vor ihm sicher.



(*5) Im Originalsetting des 14.6.78 kamen keine Kinder zu Schaden.

(*6) Dass es sich hierbei um Schlaf und nicht um Beischlaf handelte, ist aus verschiedenen Gründen anzunehmen.

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