Es ist der 25. Juni 1978. Mein Blick fällt auf haushohe Kakteen, die starr und unbeweglich wie Grabsteine um das spanische Häuschen stehen, das Stephan und ich gemietet haben. Ich bin gerade erst aufgewacht, Stephan schläft noch, seit 24 Stunden, wie ein Toter – Martine ist weg.
Geweckt wurde ich von einem amerikanischen Kurier, einem Aussenposten des Getty-Imperiums, einen versprengten Abenteurer, der mit einem Motorrad in die Veranda fuhr und rief, Martine Getty erwarte ein Zeichen von uns. Ich hob meine Hand, hob und senkte den Kopf, machte „Ja, ja“ und ging ihm entgegen, die Schuhe in der linken Hand. Ich schickte ihn aber wieder weg, mir war schwarz vor den Augen, ich ging ins Haus zurück und begann zu schreiben. Die nächste Zeit werden wir hier bleiben. Im Haus ist es kühl, draussen lastet die Sonne und versperrt die Ausgänge, was gut für uns ist, so kommen wir zur Ruhe.

Wie endete die Party? Warren Beautty*, der zur Zeit auf zwanzig mal zwanzig Meter großen angestrahlten Filmplakaten am Sunset Strip hängt und die Leute beeindruckt, stand unschlüssig und ein wenig blöde vor Martine, die ihn nicht beachtete, und setzte sich endlich auf die zierliche Darleen, Bob Rafelsons Freundin. Er begann sie zu massieren. Ein scheussliches Bild, Darleen ist ein an sich problematisches Mädchen, mit Angstaugen, weiß es aber selber nicht, und versucht, Sexappeal zu haben, oder besser:… ach, egal, jedenfalls stöhnte sie und Beautty kämpfte und beide gingen durch heikle Minuten, verkrampften immer mehr, machten sich sonstwas vor, und Stephan kniete neben ihnen und lachte sich halb tot. Dann gaben wir uns einen Ruck und gingen zu Rafelson, dem Hausherrn und Gastgeber. Vivaldi oder etwas noch früheres auf dem Plattenteller. Der Hausherr tönte: „Man muß sich das vorstellen, diese Musik, und 200 Jahre später schreibt Mozart zu genau dieser Stelle eine Begleitung, nichts anderes als das Ave Maria, ich kann es euch vorsingen.“ Er singt in den frühen Vivaldi ein paar Töne Ave Maria hinein. „Und Schuberth hat auch nichts anderes getan, als Kadenzen abzuschreiben – „ prahlt er weiter mit herrischer Stimme. Man merkt ihm an, daß er Peinlichkeiten einfach nicht ertragen kann und lieber brüllt als abwartet. Diese beiden Germans, diese Milchjungen, sollten ihm nicht mehr den Appetit verderben, seit Wochen spricht Hollywood von diesen Kerls, das Getty-Imperium blamiert sich und auf den Parties fühlen sich die Leute lächerlich gemacht, alternde Produzenten und Stars fürchten um ihre Geliebten, und das nur wegen dieser beiden blassgesichtigen Gestalten. „Es war nicht Schuberth,“ sage ich, während ich seine Kokaindose benutze „es war Fellingrath.“ Sein Unterkiefer fällt herunter, seine Augen starren angestrengt. Sekundenlang sagt er nichts und als er endlich ansetzen will, stehe ich gerade auf und gehe ins andere Zimmer. Stephan muß sich anhören, was für mich bestimmt war, doch Stephan liegt die Unterhaltung, wie er mir später erzählt, ins normale Maß zurück.
Ja, und wie ging dann alles aus, wie kamen wir in dieses Häuschen? In kurzen Zügen, es kommt nichts Besonderes mehr. Stephan wurde immer betrunkener, konnte nichts mehr erkennen, gab aber bis zuletzt bestechende Beschreibungen der Szenerie ab, was mich wunderte. Er suchte ständig meine Nähe, kam schließlich auf allen Vieren in meine Richtung gekrochen, hängte seinen Oberkörper über mein Knie und schlief ein. „Es gibt niemanden hier, mit dem ich reden will,“ sagte er noch, „es ist nichts, wirklich nichts, alles Popcorn – .“ Er schlief. Eine Frau, Mitte zwanzig, Modell, rückte an mich heran und sagte: He looks a little bit like David Bowie, you know that? Es war halb fünf Uhr morgens geworden, die einzelnen umliegenden Leiber waren zu faul zum vögeln, das Kokain war alle, aber Martine und ich begannen ein sogenanntes Jahrhundertgespräch. Ich hatte sie angesprochen, um nicht einzuschlafen, die ersten Minuten schleppten sich dahin wie Dialoge in Wim Wenders-Filmen. Es ging um Liebe, Gott, Welt, Ich und Du, und schliesslich, - zisch! – flammte Martines ganze, monatelang zurückgehaltene, Diskutierwut wieder auf, steckte mich an, riß Stephan aus dem Schlaf. Als Rafelson das sah, verrutschten ihm ein für allemal die Gesichtszüge, er hievte seinen Körper auf beide Beine und plärrte, wir sollten verschwinden. Das taten wir. Ich setzte Martine ab und fuhr mit Stephan in ein Hotel. Beide redeten wir, herrlich erschöpft, zusammenhanglos vor uns hin. „Das ist das Glück! Dachte ich, und Martine, Martine“. Natürlich hatten wir nur wenig Zeit, um 10 Uhr wurden wir geweckt und fuhren zu Getty’s. Vorher kurz zu Schwab’s, wieder dachte ich: „Glück“. Stephan übergab sich auf der Toilette, er hatte auf der Party eine Flasche Cognac getrunken.

Ich hatte mich eingelebt, ich sah, wie ein paar Leute am Nebentisch über uns redeten, die Bedienung erkannte mich wieder, Paul Morrisey kam vorbei und setzte sich kurz und belanglos zu zus. Ich war wie stumm geworden, versank in der Kaffeetasse, sah über den Rand das Schwabs-Café, die Registrierkasse, die unglückliche Stephan, den draussen in der Sonne glühenden Autos. „Ja, ja.“ dachte ich. Bei Getty’s kam mir Paul entgegen, drängte mich zurück ins Auto und fuhr einfach los. Seine Augen blinkten freudig. O Gott, ich bin sein Freund geworden, merkte ich. Er ging mit mir durch die Straßen und kniff Mädchen in den Hintern, pöbelte Leute an, zeigte mir Pornoläden, baute einen Joint, sprach über seine Lieblingsgruppen. Er fragte, was meine Lieblingsgruppe oder -musik sei und mir fiel es wieder nicht ein. Ich konnte auf all das nicht richtig reagieren, sodaß wir zurückfuhren und Paul beschämt war. Schlimm war das. Martine, Stephan und ich fuhren an den Strand, an den Getty-Privatstrand. Wir spielten Frisby, machten Urlaubsphotos, legten uns in die Sonne und aßen Pfirsiche. Die Zeit verging. Ich ging allein die Holztreppe hoch, sehr schnell steigen die Felsen an, und als ich etwa 50 Meter über dem Strand war und aus dieser Perspektive sehr viel vom Pazifischen Ozean sah, dachte ich noch einmal, ein drittes Mal: „Das ist es.“ Ich blieb auf der Stufe sitzen, bis die Sonne hinter all dem satten Grünzeug verschwunden war. Martine kam, sie sah nicht gut aus. Sie sagte, alles käme ihr mit einem Male sinnlos vor. Ich sagte: „Und das würde sich auch nicht ändern, wenn ich mich scheiden lassen und dich heiraten würde?“ Sie lachte: „Nein, bestimmt nicht.“ Wir gingen die Treppe zum Haus hoch. Als ich mich einmal kurz umdrehte, waren ihre Augen dunkelblau, wie meine, und übermütig. Ich drehte mich nicht mehr um, und später war Martine anders, ohne jede Kraft, mechanisch, durch kein Wort und keine Geste mehr beeinflussbar. Sie wollte uns erst einmal nicht mehr sehen und sich um Paul kümmern, das heißt, Paul sollte sich um sie kümmern.
Ende
(d.h. Ende der ersten Staffel dieser Serie. Die zweite Staffel startet schon nächstes Wochenende.)
(*11) Bereits in dieser frühen Phase seines Werks scheint der Autor bei <Beautty> und dem darauffolgenden <Schuberth> die Stilfigur der (hoch)kulturkritischen, apotropäischen Fehlschreibung verwendet zu haben.